Pressebericht zu der Veranstaltung der GEW Main-Spessart/Bezirk Unterfranken und Forum Eltern, Lehrer, Schüler (FELS) Würzburg am 11. April 2008 im Deutschhaus-Gymnasium Würzburg
Als Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion über die Zukunft der Schule hatten die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Kreisverband Main-Spessart und das Forum Eltern, Lehrer, Schüler (FELS) den bekannten Pädagogen und Bildungsforscher Otto Herz eingeladen. Herz, der in seiner langjährigen Tätigkeit die Bielefelder Laborschule mit Hartmut von Hentig aufbaute, im Hauptvorstand der GEW und als Vorsitzender des Gesamtschulverbandes neue Akzente in der Bildungspolitik setzte, selbst auch Schulleiter gewesen ist, sprach zu dem Thema "Schule im Spannungsfeld zwischen Individualisierung und Demokratie" und zeigte, unterstützt durch eine exakte Argumentation und bilderreiche Rhetorik, sehr eindrucksvoll auf, welche Aufgaben die Schüle künftig zu bewältigen habe. Den bekannten Philosophen Th. W. Adorno zitierend, hob er am Anfang deutlich hervor, dass auch heute noch gelte, was dieser unter dem Eindruck des Holocoust formuliert hatte , nämlich dass Bildung nach Auschwitz in erster Linie ein zweites Hineingeraten in undemokratische Zustände und unhumane gesellschaftliche Verhältnisse verhindern müsse. Schulen müssten die jungen Menschen vornehmlich auf eine demokratische und lebenswerte Gestaltung der Welt des 21. Jahrhunderts vorbereiten. Dies könne aber nur gelingen, wenn die Kinder und Jugendlichen viel mehr als bisher ihre eigenen Fragen auf die Zukunft in der Schule zur Geltung bringen können. Die Lehrkräfte sollten sich daher zurücknehmen und die Schüler bei der Entwicklung und Bearbeitung ihrer Zukunftsperspektiven begleiten, denn, so Herz, " in ihnen schlummern die Fragen auf ihre eigene Zukunft."
Sehr bedeutend für die Schüler wäre in diesem Zusammenhang auch die Erfahrung, für die Gesellschaft nützlich zu sein. Dieses "Service-Learning" ließe sich, vor allem in der Phase der Pubertät, durch längere Praktikas in sozialen Einrichtungen verwirklichen. Das Aufbauen von Verantwortung für den eigenen Lernprozess ist nach Herz ein weiteres Ziel, das eine Schule der Zukunft anzustreben habe. Diese sei immer mehr als Selbstlernzentrum zu organisieren, was in skandinavischen Ländern schon seit Jahren der Fall ist. Dort eignen sich die Schüler einen großen Teil der Lerninhalte selbst an und bestimmen so ihre eigene Entwicklung entscheidend mit. In verstärktem Maße sollte anerkannt und in eigenen Portfolie-Mappen dokumentiert werden, welche Fähigkeiten und Leistungen Schüler und Schülerinnen neben dem Lernstoff der Schule beherrschten. Auch dies trage zu größerem Selbstbewusstsein und einer Steigerung des Selbstwertgefühls bei. Im Sinne des Theologen Hans Küng tritt Otto Herz dafür ein, die Schüler an der Entwicklung eines Weltethos zu beteiligen. Mit dem Satz "Wer die Welt verstehen will, muss über die Weltreligionen Bescheid wissen" verdeutlichte der Pädagoge, dass nur durch die Beschäftigung mit den humanen Essenzen der großen Religionen auf Dauer erfolgreiche Friedensarbeit geleistet werden könne. Auch einer der größten Herausforderungen, nämlich der ökologischen Katastrophe des Klimawandels, solle sich die Schule stellen. Im Sinne der auf der Konferenz von Rio de Janeiro 1992 entstandenen Agenda 21 sei es notwendig, das große, noch nicht gelöste Problem der Energiebereitstellung zu einem Hauptthema der Schulen zu machen. Unter dem Motto "Lasst die Sonne rein" könnten Schüler selbst ihre Schulhäuser auf Energieverbrauch und -verlust untersuchen und alternative, nachhaltige Möglichkeiten der Energiegewinnung entwickeln. " Solarflächen auf 50% der Schuldächer in Deutschland ersetzen eineinhalb Kernkraftwerke", so Herz. Mit dem Satz "Zivilcourage ist ein Lebenslernfach" umriss er die Notwendigkeit, den Schülerinnen und Schüler in allen Altersstufen ein Gefühl für eingreifendes Handeln und für das Hin- statt des Wegschauens zu vermitteln und sie so zu befähigen, inhumanen Tendenzen und Handlungen(Rassismus, Gewalt) entgegenzutreten. Überdenkenswert auch Herz' Ansatz zu einer alternativen Form der Evaluation. Mit dem Begriff "critical friends" tritt er für eine offene Form der Evaluation ein, bei der Leute von außen(Menschen aus verschiedenen Berufen) unvoreingenommen die jeweilige Schulwirklichkeit beobachten und Vorschläge, zum Beispiel zur Verbesserung der Schulräume und damit des Schulklimas, machen könnten. Ein klares Bekenntnis legte Otto Herz zu Ganztages- bzw. zu einer Schule für alle ab; denn nur in solchen Schulformen sei durch ein vielseitiges, auf alle Persönlichkeitsbereiche abgestimmtes Angebot eine ganzheitliche Entwicklung der jungen Menschen im Sinne eines "Wachstums der Menschlichkeit" möglich. Dieses aber sei zur Bewältigung der großen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts unbedingt nötig; ein Blick auf das 20. Jahrhundert habe nämlich gezeigt, dass dort zwar ungeheure technische Erfolge erzielt worden seien, das moralische Empfinden aber unterentwickelt geblieben sei. Otto Herz' These, dass die schlimmste Katastrophe, nämlich der 2. Weltkrieg mit seinen furchtbaren Auswirkungen, hätte verhindert werden können, wenn vorher in der Zeit der Weimarer Republik viel mehr Menschen dazu erzogen worden wären, Nein zu sagen zu Unmenschlichkeit, Rassismus und Antisemitismus, löste, wie schon der gesamte Vortrag, bei den Anwesenden Nachdenklichkeit und Betroffenheit aus. So traf das abschließend vorgetragene ABC der guten Schule, beginnend mit dem Motto "Eine Atmosphäre der Achtung, der Anerkennung und der Akzeptanz aufbauen", die volle Zustimmung der Anwesenden und verdeutlichte noch einmal eindringlich, dass Schule nur durch wesentliche Reformen im Sinne der von Otto Herz vorgestellten Thesen einen Beitrag zur Lösung der großen Zukunftsprobleme zu leisten vermag. Ein Schmankerl, das durchaus im Sinne der von Herz propagierten Selbsttätigkeit von Schülern entstanden war, überreichte am Schluss Frau Kiesel (Mitglied bei FELS und in der GEW). Unter der Leitung von Frau Christl Rüb und Frau Kalman hatte die Klassenfirma der Hauptschule Karlstadt für alle Besucher Herzen mit Verzierung gebacken.
Wolfgang Tröster, Vorsitzender der GEW Main-Spessart Gabriele von Kalman, 2. Vorsitzende FELS Würzburg