Leserbrief der Pressestelle des bayerischen Staatsministeriums für Unterricht und Kultus

Fragwürdige Schlussfolgerungen

Zu »Sechsstufige Realschule und Notenschnitt verschärfen Leistungsdruck auf Schüler« vom 1. Dezember:

Die Ausführungen der Abgeordneten Pranghofer zu den Reformen im bayerischen Schulwesen enthalten eine solche Fülle von falschen Behauptungen und fragwürdigen Schlussfolgerungen, dass hier nur einige Aspekte herausgegriffen werden können:

Selbstverständlich kostet die Einführung der R6 nicht 2,2 Milliarden Mark. Zwar wird bis 2002 eine Summe dieser Größenordnung zusätzlich in die bayerischen Schulen investiert, doch machen die Kosten, für die Durchführungen der Reformen an Hauptschulen, Realschulen und Gymnasien anzusetzen sind, nur einen Bruchteil davon aus, nämlich rund 550 Millionen Mark. Der Löwenanteil der 2,2 Milliarden wird für die Bewältigung der ansteigenden Schülerzahlen ausgegeben. Falsch ist auch die Behauptung, dass für das Gymnasium künftig ein Notenschnitt von 2,0 erforderlich sein soll. Vorgesehen ist, dass für Schüler, die zwar den Schnitt von 2,33 aus Deutsch, Mathematik und Heimat- und Sachkunde, aber in Deutsch und Mathematik nicht 2,0 erreicht haben, ein Beratungsgespräch stattfindet.

Die Entscheidung, ob diese Kinder an das Gymnasium, die Realschule oder die Hauptschule übertreten, bleibt in diesem Fall bei den Eltern. Schüler, die den Notendurchschnitt von 2,33 nicht erreicht haben, können mit bestandenem Probeunterricht ans Gymnasium übertreten. Eine verstärkte Beratung beim Übertrittsverfahren kann wohl kaum als Verschärfung interpretiert werden.

Es ist verantwortungslos, den Eltern einreden zu wollen, dass mit einer Übertrittsentscheidung nach der 4. Klasse der Bildungsweg eines Kindes bereits vorgegeben sei. Allgemeinbildende und berufliche Schulen in Bayern eröffnen eine Vielzahl von Schullaufbahnen und Abschlüssen, die nicht an Übertrittsentscheidungen nach der 4., 5. oder 6. Klasse gebunden sind. Die Tatsache, dass mittlerweile jede dritte Hochschulzugangsberechtigung nicht am Gymnasium erworben wird, belegt dass junge Menschen die flächendeckend ausgebauten Angebote, sich über die berufliche Bildung höher zu qualifizieren, in erheblichem Umfang in Anspruch nehmen.

Frau Pranghofers Kommentar zur Gleichwertigkeit der mittleren Schulabschlüsse an Hauptschule und Realschule geht von einem falschen Zitat aus. In Wirklichkeit muss es heißen: »Die Abschlüsse sind gleichwertig, aber nicht gleichartig.« Die Arbeit an der Hauptschule ist stärker praxis- und berufsorientiert als an der Realschule, der mittlere Schulabschluss an der Hauptschule verleiht die gleichen Berechtigungen wie der Realschulabschluss.

Geradezu absurd sind die Ausführungen des GEW-Vertreters zur Rolle des bayerischen Gymnasiums. Weder ist das Gymnasium »fast zur Regelschule geworden« - unter den 14-Jährigen in Bayern liegt der Anteil der Gymnasiasten bei rund 26 Prozent, der der Hauptschüler bei 40 Prozent - noch sollen am Gymnasium »Eliten gezüchtet werden«. Bei den Strukturreformen geht es um die begabungsgerechte Förderung unserer Klnder. Mit dem Ausbau der Realschule haben Kinder im Anschluss an die Grundschule drei statt zwei Schularten zur Auswahl. Darüber hinaus haben Realschule und Hauptschule mit den neuen Strukturen mehr Möglichkeiten, ein breites Angebot und ein eigenes Profil zu entwickeln.

Die GEW-Absicht, Schularten gegeneinander auszuspielen, geht zu Lasten der Kinder. 

Brigitte Waltenberger-Klimesch
Bayerisches Staatsministerium für Unterricht und Kultus (Pressestelle)

 

Unsere Antwort:

Das MAIN-ECHO hat am 1.12.99 sehr ausführlich und sachlich über die Veranstaltung der SPD zum Volksbegehren "die bessere Schulreform" am 29.11.1999 in Mömbris berichtet, zu der ich als Vertreter des DGB-Kreisvorstandes und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) eingeladen war, die Ausführungen der Landtagsabgeordneten und GEW-Kollegin Karin Pranghofer zu ergänzen. Dass auch die ausführlichste Berichterstattung in ihrer sachgemäßen Verkürzung Fehlerquellen beinhaltet, liegt in ihrer Natur. Obwohl die Veranstaltung öffentlich angekündigt und mehrere hundert Einladungen an Personen und Einrichtungen herausgingen, hat sich aus den Reihen der Organisationen, die hier nun zur Feder gegriffen haben, niemand eingefunden. Es ist ja auch bequemer, sich vom Schreibtisch aus wie ein Geier auf kleine Berichterstattungslücken zu stürzen, als den Menschen "draußen" Rede und Antwort zu stehen, insbesondere, wenn mit direkter und fundierter Kritik gerechnet werden muss. Wer allerdings an diesem Abend anwesend war, der müsste spätestens durch meinen Hinweis auf die Summe von rund einer halben Milliarde DM aufmerksam geworden sein, die ich ins Verhältnis zu den Berechnungen der GEW gestellt habe: diese hatte die Kosten der Reduzierung der Klassengrößen im Rahmen des Volksbegehrens "Bessere Schule" genau mit der gleichen Größe beziffert. Damals wurde das Volksbegehren vor dem Verwaltungsgericht abgeschmettert mit dem Hinweis auf seine Haushaltswirksamkeit. Heute wird der gleiche Betrag in eine "Reform" gesteckt, mit der keine Klasse kleiner und kein Lehrer zusätzlich eingestellt wird, mit der "im Anschluss an die Grundschule drei statt zwei Schularten" vorhanden sind, für Spätentwickler aber gar keine mehr. Hier muss die Frage erlaubt sein, gegen wen diese "Bildungsoffensive" eigentlich gerichtet ist.

Was die Übertrittsbedingungen angeht, so wurden diese umfassend von Kollegin Pranghofer dargestellt. Auch das, was sich ernstzunehmende Bildungspolitiker unter "Freigabe des Elternwillens" vorstellen. Die bayerischen Vorstellungen von einem Entscheidungsfenster von gerade Mal 0,33 Punkten fallen jedenfalls nicht darunter. Die Einschränkung auf 2,0 in Mathe und Deutsch bleibt dabei eine einschneidende Verschärfung, da beißt die Maus keinen Faden ab. Wer genug Mittel besitzt, dem "Junior" mit privatem Unterricht nachzuhelfen, den wird diese Regelung kaum treffen. Spätestens zum nächsten Übertrittstermin werden es die "restlichen" Eltern jedoch schmerzhaft erfahren. Und es ist ja auch so von der CSU-Regierung und dem Philologenverband gewollt. Bezeichnenderweise hat der Leserbriefschreiber jenes Standesverbandes auch keine Kritik gegen meine diesbezüglichen Feststellung erhoben, weiß er doch wes‘ Kind die R6 ist. Er weiß auch, wie hoch der Prozentsatz an Gymnasialschülern dort ist, wo die Wege kürzer sind als im ländlichen Bereich. "Meine Damen und Herren, dieses Volksbegehren und der Volksentscheid, wenn er tatsächlich kommen sollte, darf keinen Erfolg haben. ... Eine starke Gemeinschaft braucht auch Eliten.", so Edmund Stoiber auf dem CSU-Parteitag Mitte Oktober. Was ist nun absurder: diese Vorstellungen von "breiter Förderung" bayerischer Schülerinnen und Schüler zu zitieren oder sie zu formulieren? Und wer hat die Schularten aufeinandergehetzt? Der, der eine Schulart zu Lasten einer anderen umgestalten will, oder der Kritiker an diesem Vorgehen? Den Schuh der Verantwortung am derzeitigen Schulkampf müssen sich schon andere anziehen. Die GEW als Gewerkschaft für alle im Bildungsbereich Tätigen hat sehr wohl Verantwortung und einen Blick für das Ganze, gerade deswegen will sie ja weg von der Dreigliedrigkeit und hin zu einer mehr horizontalen, durchlässigeren Gliederung des Schulsystems, wie sie in den meisten modernen Staaten besteht. Die Einführung der R6 zementiert die einzige Übertrittsmöglichkeit nach der vierten Klasse und würde jeden Schritt in Richtung fortschrittlicher Verbesserungen auf Jahrzehnte hinaus verhindern. Deshalb unterstützt die GEW dieses Volksbegehren.

Reinhard Frankl