SZ vom 21.03.2001 Politik

GEW fordert Einstellung von mehr Lehrern

Von Felix Zimmermann

Berlin – Die Ausbildung und Einstellung von mehr Lehrern in den Schuldienst fordert die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Bei gleich bleibenden Nachwuchszahlen und drastisch steigenden Pensionierungen im Westen, könne die Nachfrage nach Lehrern in allen Schulformen von 2005 an nicht mehr gedeckt werden, sagte die GEW-Vorsitzende Eva-Maria Stange. Wegen des wachsenden Bedarfs an Lehrerinnen und Lehrern fordert die GEW eine „Initiative für den Lehrerberuf und zur Qualitätssicherung von Schule und Lehrerarbeit". Als kurzfristige Maßnahmen verlangt die GEW unter anderem die Einstellung ausgebildeter und arbeitsloser Lehrer. Seiteneinsteiger dürften aber erst nach einer zweijährigen pädagogischen Ausbildung beschäftigt werden. Um den Lehrerberuf für Abiturienten attraktiver zu machen, müssten Studienzeiten verkürzt und die Anwärterbezüge von 40 auf 75 Prozent des vollen Lehrergehaltes angehoben werden. Langfristig könne nur die stetige Einstellung von jährlich drei bis 3,5 Prozent neuen Lehrern, gemessen am Lehrerbestand, den Mangel beseitigen. Damit würde auch der so genannte Schweinezyklus durchbrochen, dass immer dann ausgebildet werde, wenn der Bedarf schon wieder nachlasse.

Gegenwärtig befinde sich der Arbeitsmarkt Schule im „Übergang von jahrzehntelanger Lehrerarbeitslosigkeit zum Nachwuchsmangel", sagte Stange. Besonders betroffen seien Berufs-, Förder- und Hauptschulen sowie die Fächer Mathematik und Naturwissenschaften in den alten und Sprachen in den neuen Bundesländern.

Im kommenden Schuljahr rechnet die GEW mit bundesweit 22000 Einstellungen. Bei weiter steigendem Bedarf könne die Zahl der Berufsanfänger von derzeit jährlich 20000 mit dieser Entwicklung nicht Schritt halten. Der Essener Bildungsforscher Klaus Klemm sagte, von 2005 an müssten jährlich 27000 Lehrer eingestellt werden. Diese Zahl könne aber nicht aus den Studentenzahlen rekrutiert werden: „Auch 40000 Studienanfänger reichen nicht." Zum einen schlössen nicht alle ihr Studium erfolgreich ab, zum anderen würden bei dem derzeitigen Fachkräftemangel immer mehr Hochschulabsolventen von der Wirtschaft abgeworben.

Klemm erwartet, dass die Bundesländer auch in Zukunft einander Lehrer abwerben werden, so wie es Hessen im vergangenen Jahr getan hatte: „Sie kommen bei dem Personalmangel gar nicht darum herum. Das wird ein heißes Spiel werden in den nächsten Jahren".

SZ vom 21.03.2001 Politik

Die verprellten Lehrer

„Paradox" ist wohl die richtige Bezeichnung für den Arbeitsmarkt Schule. Einerseits haben etwa 30 000 Pädagogen dieses Schuljahr keine Stelle gefunden, andererseits werden Lehrer dringend gesucht. Wenn auch die neueste Schätzung der GEW von 50 000 fehlenden Lehrern zu hoch gegriffen sein mag, so ist der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft eines anzurechnen: Im Gegensatz zu den Kultusministern, die das Thema verschlafen haben und bislang keine gesamtdeutsche Bedarfsanalyse vorgelegt haben, versucht der Verband Licht in das Zahlendickicht zu bringen.

Das ist dringend nötig, denn mit einem pauschalen Aufruf, das Lehramt zu studieren, ist es nicht getan. Das Paradoxon erklärt sich dadurch, dass derzeit großer Bedarf nur an bestimmten Lehrern besteht: solchen für Sonder- und Berufsschulen sowie Pädagogen, die Mathematik, Naturwissenschaften und auch Musik unterrichten. Das dürfte sich allerdings ändern: Durch die Pensionierungswelle sowie die Abschreckungsstrategie der Arbeitsämter, die noch letztes Jahr vom Studium abrieten, wird der Mangel auch in anderen Fächern wachsen.

Diesen Bedarf zu befriedigen, wird die Kultusminister einiges an Anstrengung und Phantasie kosten. Sie werden die Referendare erheblich besser bezahlen müssen; es ist nicht einzusehen, dass ein angehender Lehrer nicht mehr bekommt als ein Lehrling in der Süßwarenindustrie. Sie müssen kontinuierlicher als bisher einstellen, um den Absolventen eine sichere Perspektive zu bieten. Schließlich müssen sie mehr Abiturienten für den Beruf begeistern – kein einfaches Unterfangen angesichts der grassierenden Studiermüdigkeit und der in der Öffentlichkeit beliebten Lehrerschelte.

rub

 

SZ vom 21.03.2001 Bayern

Lehrermangel an bayerischen Schulen
Volle Klassen, leere Pulte
Die Misere kann nicht durch Hilfe aus anderen Ländern, sondern nur mit langfristiger Planung behoben werden

Von Christine Burtscheidt

München – Lehrer scheuen die Öffentlichkeit, zumal die Zunft von ihr nur Schelte erwartet. Doch seit einiger Zeit häufen sich Protestbriefe an Landtagsabgeordnete. Zum Beispiel von der Vorsitzenden des Personalrats am Allgäuer Gymnasium, Johanna Spreitler. Sie machte ihrem Ärger im vergangenen Oktober Luft. Der Grund: akuter Lehrermangel. Das Gymnasium hatte noch kurz vor Schuljahresbeginn keine Pädagogen für sechs Deutschklassen. Zudem fehlten Lehrer für Fremdsprachen und Mathematik. Insgesamt, so Spreitler, habe es ein Defizit von 60 Lehrerstunden gegeben. Mehrmals versuchte die Schule wegen der „desolaten Situation" mit dem Ministerium Kontakt aufzunehmen. Als man endlich jemanden erreichte, soll der Beamte am anderen Ende der Leitung vorwurfsvoll gesagt haben: „Was, für den Kollegen XY haben Sie noch immer keinen Ersatz?"

Am Allgäuer Gymnasium hat man „in allerletzter Sekunde" die Sache in den Griff bekommen. Vorerst. Denn was sich an der Schule abgespielt hat, sind die Vorboten eines Lehrermangels, dessen Ausmaß an den 2330 weiterführenden Schulen im Freistaat erst in zwei, drei Jahren spürbar werden wird. Wie in allen alten Bundesländern steht auch den Schulen im Freistaat der größte Generationswechsel seit 25 Jahren bevor: 50 Prozent der Lehrer werden bis 2010 in Rente gehen. Gleichzeitig steigen die Schülerzahlen. Bildungsforscher sprechen von bundesweit 25000 Pädagogen, die jährlich eingestellt werden müssten, sollte die Unterrichtsqualität nicht leiden.

In Bayern weiß man seit langem von dem Problem. 1996 prognostizierte das Kienbaum-Gutachten ein Defizit von 19000 Pädagogen. Lehrerverbände, die seit Jahren mehr Stellen fordern, jubelten schon. Und tatsächlich versprach Ministerpräsident Edmund Stoiber 2500 neue Stellen. Darüber hinaus riet aber die Unternehmensberatung der Staatsregierung, die steigenden Schülerzahlen durch größere Klassen, mehr Pflichtunterricht für Lehrer und weniger Wahlangebote abzufangen. Die Konsequenzen dieser Politik sind heute zu beklagen: Immer weniger Lehrer unterrichten immer mehr Schüler. Zwar wurden in diesem Schuljahr 5000 Pädagogen eingestellt, wovon 3000 auf vorhandene und 2000 auf die versprochenen neuen Stellen kamen. Doch gleichzeitig baute man in den vergangenen zehn Jahren an den 300 bayerischen Gymnasien 2220 Planstellen schleichend ab. Der Vorsitzende des Philologenverbands, Rainer Rupp, veröffentlichte jetzt die Bilanz und forderte die Regierung unter Androhung von Protesten zu einer Kurskorrektur auf. „Wir können so nicht weiter machen. Es ist doch eine Illusion zu glauben, die nächsten Jahre ohne nennenswert mehr Lehrer durchzustehen", sagt er. Obgleich der Notstand an den Gymnasien erst 2003 droht und derzeit noch 3000 Junglehrer auf der Warteliste stehen, stellt Rupp bereits einen Mangel in manchen Fächern fest. Hinzu käme, dass von den Anwärtern nur noch 50 Prozent Interesse am Unterrichten hätten. Um nicht weitere an die freie Marktwirtschaft zu verlieren, verlangt er vom Finanzministerium eine kontinuierliche personelle Aufstockung: Vom kommenden Schuljahr an sollen jeweils 180 zusätzliche Pädagogen in den Dienst aufgenommen werden.

Was geschieht, wenn der Staat keine vorausschauende Stellenpolitik betreibt, zeichnet sich an den Hauptschulen ab: Das Lehramt hat deutlich an Anziehungskraft verloren. Der Präsident des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands, Albin Dannhäuser, spricht von einem Rückgang der Studienanfänger um 68 Prozent. Und das in einer Zeit, in der man sie wieder dringend bräuchte. 300 Lehrer stehen derzeit auf der Warteliste, mindestens 800, sagt er, seien erforderlich, um allein die Hauptschulreform umzusetzen, geschweige denn den permanenten Fachkräftemangel zu beheben. „Die waren uns versprochen", meint er. Doch woher die Lehrer nun nehmen? Sie von ihren Stellen in anderen Bundesländern abzuwerben, ist untersagt. Und auch die Werbeaktion im Nachbarland Österreich bringt auf Dauer wenig: Dort wird demnächst ebenfalls nach Lehrern gesucht. Wie Rupp sieht auch Dannhäuser lediglich einen Ausweg aus der Misere, wenn es einen Zehn-Jahres-Plan gibt, der Abiturienten von heute ihre Berufschancen von morgen aufzeigt. Das aber setzte voraus, dass der Staat mehr Geld für Lehrer in die Hand nimmt und nicht wartet, bis Eltern auf die Straße gehen.

 

SZ vom 21.03.2001 Bayern

„Wir haben den Beruf kaputt geredet"
Der Bildungsforscher Klaus Klemm zum Imageverlust der Lehrer und den Folgen für die Schulen

Klaus Klemm ist Professor für Bildungsökonomie an der Universität Essen und kennt die bayerischen Verhältnisse durch seine Studien an den Hauptschulen sehr genau. Zudem ist er Mitglied der Bund-Länder- Kommission für Bildungsplanung.

SZ: Ist die Kultusbürokratie unfähig zu einer vernünftigen Personalplanung?

Klemm: Die Schwierigkeiten liegen größtenteils außerhalb des Einflussbereiches eines Kultusministeriums. Wer Lehrer wird, bleibt es im Normalfall bis zu seiner Pensionierung: Das Personal wird für sehr lange Zeiträume eingestellt, unabhängig von demographischen Schwankungen und Schülerzahlen.

SZ: Der permanente Wechsel zwischen Lehrermangel und Lehrerarbeitslosigkeit ist also ein Naturgesetz?

Klemm: Wir können etwas mehr dagegen machen, als es in der Vergangenheit geschehen ist. Die Einstellungspolitik der letzten Jahre hat viele Studenten vor einem Lehrerstudium abgeschreckt. Vor allem für die Fächer Mathematik und Naturwissenschaften und für die Berufsschulen haben wir zu wenig Lehrer.

SZ: Wurde die naturwissenschaftliche Ausbildung insgesamt vernachlässigt?

Klemm: Das ist nicht der Hauptgrund. Der Schuldienst ist vor allem für Ingenieur- und Naturwissenschaftler nicht mehr attraktiv genug.

SZ: Die deutschen Lehrergehälter liegen doch international an der Spitze.

Klemm: Nach dem Referendariat ist das Lehrergehalt so gut, dass Geistes- und Sozialwissenschaftler in den Beruf drängen. Doch Naturwissenschaftler zögern nicht nur wegen der finanziellen Aussichten. Es geht auch um die gesellschaftliche Anerkennung des Lehrers. Die Politik – auch in Bayern – hat dem Beruf nicht den Respekt entgegengebracht, den er verdient und den er auch braucht. Wir haben einen Bundeskanzler, der von „faulen Säcken" sprach. Wir haben den Beruf kaputt geredet.

SZ: Die Politik hat das Image des Lehrer schlecht geredet?

Klemm: Nicht nur schlecht geredet. Wir haben eine permanente Verschlechterung der Arbeitsbedingungen: mehr Stunden, mehr Schüler, schwierigere Schüler als früher und damit höhere Anforderungen an die Lehrer. Die Mangelfächer an den Schulen zeigen: Wir bekommen für die Politik jetzt die Quittung. Ein viel umworbener Informatiker wird nicht den Schuldienst wählen. In vielen Ländern, die derzeit in den internationalen Leistungsvergleichen besser abschneiden als die Bundesrepublik – auch als Bayern – ist das Prestige der Schulen und Lehrer deutlich höher.

SZ: Was empfehlen Sie?

Klemm: Den aktuellen Lehrermangel können wir nicht durch die Anwerbung von Abiturienten lösen. Das dauert zu lange. Auch Bayern wird darauf setzen müssen, die vielen arbeitslosen Lehrer durch zusätzliche Ausbildung für die fehlenden Fächer zu qualifizieren.

SZ: Der Weg muss finanziert werden.

. Klemm: Die langfristige Rentabilität guter Schulen sehen Finanzpolitiker nur selten. Die Schulen werden nicht mit langem Atem gefördert. Die Stopp-and-Go-Politik, zwischen Sparzwang und Bildungsoffensive, ist für sie tödlich.

Interview: Wolfgang Eitler

SZ vom 21.03.2001 Bayern

„Wir wurschteln uns so durch"
Wie eine Hauptschule mit dem Lehrermangel lebt

München – Am Dienstag fällt in der Klasse 7a Musik aus. Fünf Schülerinnen sitzen am Eingang und nicken gelangweilt, als sie es erfahren. Eine kickt eine Cola-Dose weg. „Na und?" – Alltag an der Hauptschule in der Münchner Cincinnatistraße. Die Lehrerin müsse zu einer Fortbildung, erklärt eine Schülerin. Auch Rektor Peter Vahlensieck gibt sich gelassen: „Das ist ein ganz normaler Vorgang." Mit dem permanenten Lehrermangel habe der Unterrichtsausfall noch nichts zu tun.

Aber der Vorfall ist symptomatisch. Denn viele Lehrer müssten sich derzeit fortbilden. Weil für Englisch, Werken oder textiles Gestalten keine Fachlehrer mehr vorhanden seien, hätten andere Pädagogen einzuspringen. Sie müssen sich deswegen neues Wissen aneignen, entweder auf Seminaren oder als Autodidakten. Zum Beispiel Claudia Gebhardt. Sie gibt an der Cincinnati-Schule jetzt Musikstunden. Ihr Kollege Alfred Bergmiller wiederum übernimmt den gewerblich-technischen Unterricht, in dem die Schüler technisches Zeichnen lernen oder Stromschaltkreise bauen. Das musste sich Bergmiller erst einmal selbst beibringen. „Wir wurschteln uns so durch", sagt Vahlensieck.

Der Schulleiter ist Mathematiklehrer und ein geduldiger Mann. Das kommt ihm in seinem Amt zugute. Denn bevor er dem staatlichen Schulamt im Mai wieder turnusgemäß seinen Bedarf an Lehrkräften meldet, muss er rechnen: Er hat 25 Lehrer für 240 Mädchen und Buben. Die Kunsterzieherin ist seit einem drei Viertel Jahr krank, und die Englischlehrerin hält wegen ihres Teilzeitvertrages nur 38Prozent der nötigen Stunden. Eine Fachkraft für den Mädchensport und ein Kollege für den kaufmännisch-bürotechnischen Unterricht gibt es an der Schule am Perlacher Forst nicht. Die Planstunden im Werken und textilen Gestalten halten zu 50 Prozent fachfremde Volksschullehrer wie Bergmiller. Und die hält er nur alle 14Tage, dazwischen sind die Fachstunden frei. „Im Mai gebe ich diese Daten wieder ans Schulamt weiter, wo die Probleme längst bekannt sind", sagt Vahlensieck. Dass er neue Lehrer bekommt, damit rechnet er nicht. Im Gegenteil: „Voraussichtlich wird uns die Englisch-Kollegin im Sommer verlassen." Und die kranke Kunsterzieherin könnte zum Schuljahresende in den Ruhestand gehen, befürchtet der Rektor.

Neun seiner 27 Wochenstunden verbringt Vahlensieck damit, den Mangelzustand zu verwalten. Er schiebt Lehrer und Schüler im Stundenplanprogramm auf seinem Bildschirm hin und her, bis es einigermaßen passt. „Wird ein Klassenlehrer krank, fehlt jede mobile Reserve", sagt er. Dann stehen dem Rektor zwei Alternativen zur Verfügung: Plan A ist Schichtdienst, Plan B sind größere Klassen. Bis zu 33 Schüler in einem Raum sind an der Cincinnatistraße keine Seltenheit. „Etwa 60 Münchner Hauptschulklassen hatten über die vergangenen drei Monate dieses Problem", berichtet er. Oft unterrichte ein Lehrer dann erst die 7a in einer verkürzten Drei-Stunden-Schicht und dann die 7b. Dass dabei neben der Menge des Unterrichts auch die Qualität leidet, ist aus Sicht des Rektors selbstverständlich. „Das ist genauso der Fall, wenn fachlich nicht versierte Volksschullehrer den Fachunterricht geben", sagt er. Verschlechtert also das Mangelsystem die Schule? Vahlensieck weicht einer Antwort aus: „Ich bin ein Teil des Systems und kann den Lehrermangel nur registrieren." Die Bewertung müssten andere vornehmen: „Kritik muss von den Eltern kommen."

Philip

Wolff


Frankfurter Rundschau

 

Lehrermangel verschärft sich

Forscher: Abwerbung könnte billiger als Ausbildung werden

Von Richard Meng

Spätestens in den Jahren nach 2005 werden die Hochschulen den Lehrerbedarf nicht mehr decken können. Nach Zahlen des Essener Bildungsforschers Klaus Klemm werden dann Länder wie Hessen, die wenig Lehrer ausbilden, dauerhaft auf Abwerbeaktionen setzen müssen - und womöglich finanziell günstiger fahren als bei einem Ausbau ihrer Lehrerausbildung.

BERLIN, 20. März. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hat am Dienstag in Berlin eine Analyse Klemms zum künftigen Lehrerarbeitsmarkt präsentiert, wonach die Bildungspolitiker auf den neuen Lehrermangel bislang völlig unzureichend reagieren. Danach wird - bei angenommenem unverändertem Stellenvolumen - nur bis 2005 die Zahl der neuen Lehramtsabsolventen noch in etwa der Zahl der ausscheidenden Pädagogen entsprechen, wodurch sich der Lehrermangel in bestimmten Fächern und Schulformen ebenfalls bereits verschärft. Ab 2005 aber steige wegen des Generationenwechsels in den Kollegien der "Ersatzbedarf" jährlich von derzeit 24 000 auf etwa 27 000 neue Lehrer. So viele Absolventen seien auf Grund der bisherigen Studienanfängerzahlen nicht zu erwarten.

Klemm und die GEW verweisen darauf, dass wegen des fächerspezifischen Bedarfs schon jetzt viele ausgebildete Lehrer trotz unbesetzter Stellen nicht zum Zuge kommen. Weiter stellte Klemm fest, dass die Länder sich sehr unterschiedlich stark in der Lehrerausbildung engagieren und damit immer häufiger gezwungen sein werden, ihre Lehrer abzuwerben. Das gelte etwa für Hessen, das mit dieser Abwerbepraxis im vergangenen Jahr begonnen hatte und gemessen an den Jahrgangsstärken etwa 25 Prozent weniger Lehrer ausbildet als Bayern, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen oder Spitzenreiter Baden-Württemberg. Dies gilt aber auch für das Saarland und alle nördlichen Länder.

Noch größere Veränderungen erwartet Klemm in den neuen Ländern, wo bei geringen Ausbildungskapazitäten eine Abwanderung in den Westen eingesetzt hat. Klemm erwartet, dass Länder mit geringer Ausbildung darauf setzen werden, "als Magnet auf dem Arbeitsmarkt aufzutreten" und mit ihren Lockangeboten am Ende sogar weniger Geld einsetzen müssen als bei einem langfristigen Ausbau ihrer Hochschulen.

Siehe auch den Kommentar "Nicht Geld allein"

Nicht Geld allein

Wer das Versagen vorsorgender Politik studieren will: beim Lehrerarbeitsmarkt ist es offenkundig

Von Richard Meng

Wer das Versagen vorsorgender Politik studieren will: beim Lehrerarbeitsmarkt ist es offenkundig. Da passiert nichts von heute auf morgen, es liegen alle Daten Jahre zuvor offen. Trotzdem steht nun im unsinnigen Zyklus von "Schwemme" und Dürre wieder eine Zeit massiven Lehrermangels bevor. Keinem anderen Arbeitgeber würde so viel Kurzsichtigkeit verziehen. Aber beim Staat ist Bildungsplanung wieder zum Fremdwort geworden. Es fehlt völlig die Verzahnung von Schul-, Hochschul- und Finanzpolitik, erst recht über die Ländergrenzen hinaus.

Nun bedeutet jedes Versagen die Chance, etwas zu ändern. Da muss jetzt über Geld geredet werden, über Vergütung ebenso wie über Ausbildungskapazitäten. Aber bitte nicht über Geld allein: Was für die nächste Lehrergeneration fast noch dringlicher fehlt, ist ein modernes Berufsbild. Den tiefen Frust in den alten Kollegien kennen alle. Jetzt wäre die Möglichkeit da, die Lehrerrolle neu zu profilieren. Nicht allein fächerspezifisch, aber werteorientiert. Offener für die Gesellschaft als bisher. Neugieriger auf alles, was außerhalb der Schule passiert. Und eingestellt auf Ganztagspräsenz, nicht nur auf Stundenrhythmen.

Dabei würden mehr Quereinsteiger gar nicht schaden, wenn sie denn pädagogisch nachgeschult sind. Noch mehr Junglehrer aus unverändert eng angelegten Studiengängen jedenfalls müssen es nicht unbedingt sein. Der Umbruch, der jetzt unumgänglich ist, muss auch ein Aufbruch werden. Sonst glaubt auch die nächste Lehrergeneration bald, dass sich an diesen Schulen sowie nie etwas ändert.