MAIN-POST 15.03.2005

Plädoyer für eine gemeinsame Schule für alle

Karlstadt Es war eine Podiumsdiskussion fast ohne Kontrahenten, welche die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) im Karlstadter Hotel "Mainpromenade" organisiert hatte. Von den sieben Teilnehmern propagierten sechs in teilweise flammenden Reden eine gemeinsame Schule für alle und verurteilten zugleich das dreigliedrige Schulsystem. Lediglich Walter Höfling (Rieneck) als Vertreter der CSU versuchte ein Stück weit die Sichtweise der Staatsregierung vorzutragen.

Möglichst bis zur neunten Klasse sollten die Schüler gemeinsam unterrichtet werden - ohne Auslesedruck. Diese Selektion erzeuge Verlierer, verleihe ihnen den Stempel des Versagers. Darin waren sich die sechs Befürworter der gemeinsamen Schule einig. Dabei treffe es nicht zu, dass in einer gemeinsamen Schule die Schwächeren die Besseren im Lernen behindern und "runterziehen" würden. Vielmehr sei es immer so, dass die Schwächeren von den Besseren profitieren.

Irgendwann werde das "Bildungsproletariat" sich dieses System nicht mehr gefallen lassen, warnte Simone Tolle, Landtagsabgeordnete der Grünen. Letztlich werde es den Staat teuer zu stehen kommen.

Eingangs war ein Film über eine skandinavische Schule gezeigt worden, in dem der Rektor den wichtigsten Faktor fürs Lernen nannte: Erstens Motivation, zweitens Motivation und drittens Motivation.

Größter Wert wird dort auf die Erziehung der kleinen Kinder gelegt. Zwei studierte Lehrer und eine Betreuungskraft für 15 Vorschüler sollen die Basis legen. Das ist zwar zunächst ein hoher Aufwand, zahlt sich aber später aus, wenn die Jugendlichen in der Lage sind, sich Stoffe teilweise ohne Lehrer zu erarbeiten. In Deutschland und speziell in Bayern gehe man genau den anderen Weg. Hier würden Schüler durch ständige Auslese entmutigt, kritisierte Professor Dr. Wolfgang Magin (Großostheim) als zweiter Vorsitzender des Bayerischen Elternverbands, ebenso der Lohrer Hauptschulrektor Franz Wolf: "Wir müssten fördern statt zu selektieren." Am besten sei es, langsam anzufangen und dann mit 15 Jahren durchzustarten. Die SPD-Landtagsabgeordnete Karin Pranghofer bemängelte: "Wir investieren zu viel in Reparaturen", weil die Schulzeit nicht richtig genutzt wurde. Kinder seien prinzipiell wissbegierig. sagte sie. "Unsere Schulsystem scheint es zu schaffen, dass diese Motivation verloren geht."

Vor allem sei es ein Unfug, den weiteren Bildungsweg eines Menschen von den Noten abhängig zu machen, die er in der vierten Klasse mit etwa zehn Jahren bekommt, lautete der Tenor der Diskutierenden. Jeder Mensch entwickle sich in anderen Rhythmen.
Heterogene fünfte Klassen

Josef Grodel (Konrektor der Hauptschule Karlstadt), der als Vertreter des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbands (BLLV) sprach, zitierte eine Untersuchung, wonach die fünften Klassen des Gymnasiums am heterogensten seien. Hier gebe die größten Unterschiede in Wissen und Leistungsfähigkeit, obwohl man eigentlich glauben müsste, dass sich hier Schüler mit vergleichbaren Fähigkeiten finden müssten.

Ein Zuhörer kritisierte die Diskussion als einseitig. Er fragte, warum nicht mehr Befürworter des dreigliedrigen Schulsystems da seien. Moderator Wolfgang Tröster (Lehrer am Karlstadt Gymnasium und GEW) hielt ihm entgegen, man habe Vertreter der Lehrer und Elternverbände sowie der Parteien eingeladen. Und bis auf einen würden diese eben ein anderes System wünschen, "weil sie Fachleute sind". Der Philologenverband sei eingeladen worden, habe aber nicht zugesagt.

Der Zuhörer argumentierte, Finnland habe beim Pisa-Test so gut abgeschnitten, weil es dort nur zwei Prozent Migranten gebe. Oskar Brückner (Bayreuth), neuer Vorsitzender des GEW-Landesverbands, erklärte, zur Vergleichbarkeit von Pisa seien die 20 Prozent Migranten aus dem deutschen System bereits herausgerechnet worden, und dennoch schneide Deutschland fast unverändert schlechter ab. Brückner kritisierte, dass die soziale Herkunft und die Beherrschung der deutschen Sprache Hauptkriterien für den späteren schulischen Erfolg seien.

Walter Höfling sagte, das bayerische Bildungssystem gelte als das beste in Deutschland. 21 Prozent der Hauptschulabsolventen würden letztlich die Mittlere Reife machen. Auch würden die Ausgaben für Bildung steigen. Dem hielten andere Diskussionsteilnehmer entgegen, dies rühre zum Großteil aus den steigenden Pensionszahlungen für die vielen Lehrer, die jetzt in den Ruhestand treten. Die SPD-Landtagsabgeordnete Karin Pranghofer (Aschaffenburg) sprach davon, dass zwei Drittel der steigenden Bildungsausgaben auf die steigenden Versorgungsbezüge zurückzuführen seien.

Wiederholt plädierten die Diskussionsteilnehmer dafür, die Schulen sollten die Schüler behalten, die sie einmal aufgenommen haben. Dann hätte zumindest das Auslesesystem ein Ende. Höfling versprach am Ende der Diskussion, die Argumente dem CSU-Stimmkreisabgeordneten Eberhard Sinner mitzuteilen.

Von unserem Redaktionsmitglied Karlheinz Haase


Bei der Veranstaltung der GEW über eine gemeinsame Schule für alle beteiligten sich in Karlstadt auf dem Podium (von links): Franz Wolf, Walter Höfling, Oskar Brückner, Simone Tolle, Karin Pranghofer, Dr. Wolfgang Magin, Wolfgang Tröster und Josef Grodel.