11.01.2004 19:18
G 8 sorgt für große Verunsicherung
würzburg Noch sind viele Fragen offen. Dennoch will die Staatsregierung in der nächsten Woche das achtjährige Gymnasium einführen. Rückwirkend, so dass bereits die aktuellen Fünftklässler betroffen wären. Viele Eltern, aber auch Lehrer können dem Reform-Galopp des Kultusministeriums nicht folgen. An den Würzburger Gymnasien formiert sich Widerstand. So hat der Elternbeirat am Siebold-Gymnasium eine Unterschriften-Aktion gestartet. Ein Kritikpunkt: Den Schülern werde durch nachmittägliche Mehrstunden eine Arbeitszeit zugemutet, die sogar die tariflichen Arbeitszeiten von Erwachsenen übersteige.
"Soll ich denn meine Kinder, die seit 7 Uhr morgens mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sind, bis 16 Uhr sich selbst überlassen, ausgerüstet mit einem Lunchpaket für die Dauer eine Schultages?", fragt zum Beispiel die Estenfelder Mutter Petra Scholz-Herold. In einem Brief an lokale CSU-Landtagsabgeordnete verweist sie auf einen besonderen Knackpunkt: Dass nämlich in acht Jahren ein Doppel-Jahrgang in Universitäten und auf den Lehrstellenmarkt drängen werde.
Dieses Problem sieht Hermann Mündlein, Ministerialbeauftragter (MB) für die Gymnasien in Unterfranken, wohl - hält es aber für beherrschbar: "Da müssen entsprechende Vorbereitungen und Übergangsregelungen getroffen werden." Die Befürchtung, dass Kinder durch mehr Wochenstunden überfordert werden, kann Mündlein zwar verstehen. Schwierigkeiten erwartet er aber nur in Einzelfällen. Der MB geht davon aus, dass nach dem Landtagsbeschluss an den Schulen "mit Hochdruck gearbeitet und mit heißer Nadel gestrickt wird."
Das wird nötig sein, um organisatorisch die
Umstellung in den Griff zu bekommen. So kalkuliert zum Beispiel Hans Reinfelder,
Leiter des Röntgen-Gymnasiums, mit rund 300 Schülern, die künftig ein
Mittagessen brauchen. Weil es an keinem der neun Würzburger Gymnasien eine
bewirtschaftete Schulküche gibt, strecken die Schulleiter ihre Fühler nach
einer Versorgungsmöglichkeit aus. So könnten die Röntgen-Gymnasiasten
eventuell die Studenten-Mensa mitbenutzen.
Weniger Lerninhalte
Auch Reinfelder zeigt sich von der Eile der G 8-Einführung überrascht. Sein Problem und das seiner Kollegen: "Wir kennen die Pläne noch nicht im Detail." Weil aber das gestrichene neunte Jahr nicht ganz durch wöchentliche Mehrstunden aufzufangen ist, sei klar, dass einige Lerninhalte auf der Strecke bleibt. Reinfelder: "Wir haben ja bislang die Stunden nicht umsonst gehalten."
Am Deutschhaus-Gymnasium tut man sich organisatorisch leichter. Denn bei der anstehenden Generalsanierung, so Leiter Armin Hackl, könnten die erforderlichen Raumkapazitäten berücksichtigt werden. Hackl hat zwei Befürchtungen: Erstens, dass die achte Jahrgangsstufe ("besonders schwierig in der Lernmotivation") durch den neuen Lehrplan überlastet wird. Und zweitens, dass der Raum für die kulturelle Arbeit an den Schulen verloren geht: "Wer bleibt denn noch freiwillig einen vierten Nachmittag in der Woche für Schultheater oder Chor?"
Kritik kommt auch von der
Landes-Eltern-Vereinigung (LEV) der Gymnasien. "Die G 8 kommt
überstürzt", sagt Vorstandsmitglied Veronika Burger. Die Würzburgerin
wirft dem Kultusministerium "Konzeptionslosigkeit" vor, weil erst in
diesem Schuljahr ein neuer Lehrplan für die fünften Klassen eingeführt wurde.
Die Elternvereinigung befürchtet Qualitätsverlust des Abiturs und
Überforderung der Kinder.
Kosten für die Stadt
Vor Herausforderungen stehen auch die Kommunen als Sachaufwandsträger der Schulen. Wie Würzburgs Schulreferent Reiner Hartenstein erklärte, müsste aufgrund der Hygiene-Vorschriften für eine Essensversorgung in den Schulen erheblich investiert werden: "Das kann keine Kommune leisten." Gegen die Bayerische Bildungspolitik werden an diesem Montag, um 14 Uhr am Hauptbahnhof, Schüler und Lehrer demonstrieren. Der "Schülerladen", die Schülervertretung Würzburgs, ruft ebenso zur Teilnahme auf, wie der Kreisverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). "Ohne Konzept wird an Einzelbereichen herum reformiert," kritisiert Vorsitzender Jörg Nellen die Bildungspolitik Edmund Stoibers in einer Pressemitteilung. Mitglieder der GEW wehren sich dagegen zusätzliche Betreuungsstunden zu leisten. Lehrkräfte hätten in einer 50-Stunden-Woche nun mal keinen Nachmittag frei, wie Stoiber unterstelle.