06.01.2004

Werbung für das Lehramtsstudium

Würzburg Die Kultusminister werben jetzt sogar schon für den Lehrerberuf. Mit einer Info- und Werbekampagne wollen sie jungen Leuten das Unterrichten schmackhaft machen. Hintergrund: Deutschen Schulen droht in den kommenden zehn Jahren ein massiver Lehrermangel.

Wenn Karin Wolff, die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK), über den Lehrerbedarf spricht, streicht sie die positive Seite heraus: "Die Chancen, in den Schuldienst einzutreten, sind zurzeit so gut wie lange nicht mehr." Anders gesprochen klingt das so: In Deutschland wird es in den kommenden Jahren zu wenig Lehrer geben. Die Kultusminister der Länder rechnen vor allem in den Haupt-, Real- und Berufsschulen mit einem Lehrkräftemangel. Bis 2015 müssten nach einer Modellrechnung 371 000 Lehrer eingestellt werden. Referendare wird es im gleichen Zeitraum nur 296 000 geben.

Zwar gibt es noch die rund 30 000 Bewerber des Jahres 2001, die nicht eingestellt wurden und ältere Absolventen, die teils noch für den Schuldienst zu Verfügung stünden. Aber zu viele Lehrer werden bald pensioniert, zu wenig junge Lehrer kommen seit der Mitte der 90er Jahre nach. Durch die Einstellung voll ausgebildeter Lehrkräfte kann der Bedarf wohl nicht gedeckt werden.

Thema intern

Die Kultusminister setzen jetzt auf modernes Marketing. Lassen Flyer und Broschüren drucken, Fernsehspots drehen. Eine Werbeagentur hat sich der Kampagne angenommen: Junge Leute sollen wieder Lust bekommen aufs Lehramt.

Wieso Werbung? Ein Lehrermangel droht. Ein Blick auf Lehrer- und Schülerzahlen in Bayern zeigt das Dilemma: Zwischen 1992 und 2001 stiegen die Schülerzahlen um 15,8 Prozent. Lehrer wurden jedoch nur 6,5 Prozent zusätzlich eingestellt. Der Durchschnittslehrer wird immer älter - und muss die steigenden Schülerzahlen durch Mehrarbeit kompensieren.

An der Uni Würzburg steigen die Anfängerzahlen für die Lehramtsstudiengänge immerhin wieder. Allerdings nicht unbedingt in den Fächern, in denen der Bedarf am größten ist. Und zu spät für den Generationswechsel, der in der Lehrerschaft ansteht.

Rudolf Brandenstein, stellvertretender Bezirksvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Bildung (GEW), formuliert das drastischer als die KMK-Präsidentin: "Wir sitzen auf einer tickenden Zeitbombe." Es herrsche Ruhe vor dem Sturm - "bevor uns die Pensionierungswelle überrollt." Im Landkreis Würzburg liegt der Altersdurchschnitt bei Hauptschullehrern schon bei 50 Jahren, verdeutlicht Brandenstein das Problem. "In zehn Jahren haben wir absoluten Lehrermangel", sagt er.

Vor dem großen Aufschrei ist allerdings Vorsicht geboten: Für einzelne Bundesländer und die Schularten sieht der Lehrerbedarf höchst unterschiedlich aus. Im Grundschulbereich gebe es im Moment genug Absolventen, sagt Jürgen Röhling, leitender Regierungsdirektor für Unterfranken. In Hauptschulen und Berufsschulen dagegen, "da fehlen uns Lehrer". Diplom-Kaufleute und Handelslehrer werden händeringend gesucht, Lehrer für die Fächer Wirtschaft, Verwaltung, Recht. Für die technischen Fächer haben Regierung und Schulämter bereits Notprogramme gestartet und Ingenieure angeworben. "Fachlich gesehen okay", sagt Röhling. Aus pädagogischer Sicht seien Seiteneinsteiger sicher nicht die beste Lösung.

Das Problem Lehrermangel - "nicht neu", sagt Reinhard Frankl, Bezirksgeschäftsführer der Gewerkschaft Erziehung Wissenschaft (GEW). "Man hat erfolgreich daran gearbeitet, den Lehrerberuf unattraktiv zu machen." Und mit dem Image steht es nicht zum Besten. In einer Emnid-Umfrage zum Thema Bildung von Herbst 2003 gaben 40 Prozent aller Befragten an, die Leistung der Lehrer sei in unserer Gesellschaft angemessen anerkannt. 16 Prozent der Befragten hielten die Arbeit für überbewertet, 38 Prozent für nicht ausreichend anerkannt.

Ein weiterer Punkt kommt hinzu: "Seit zwei, drei Jahren werben sich die Bundesländer die Lehrer ab", sagt Frankl. Hessen beispielsweise lockt mit höherem Einstiegsgehalt. Den Lehrermangel an Hauptschulen fängt der Freistaat derzeit mit Arbeitszeitkonten auf. Seit vier Jahren unterrichten Hauptschullehrer 28 statt 27 Stunden in der Woche. Bayerns Grundschullehrer haben mit 29 statt 28 Stunden deutschlandweit die höchste Arbeitszeit.

Arbeitszeitkonto, jetzt eventuell Nachmittagsbetreuung: "Die Diskussionen in den Lehrerzimmern sind so heftig wie noch nie", sagt Brandenstein. Vor allem die engagierten Lehrer hätten allmählich genug. Von Dienst nach Vorschrift ist die Rede: "Es wurde auch schon Arbeitsniederlegung diskutiert."

Für die Realschulen sieht Wolfram Bundesmann, Geschäftsführer des GEW-Landesverbandes, einen "künstlich geschaffenen Mangel". Dank der sechsstufigen Realschule. "Hier gibt es einen Engpass für zwei, drei Jahre", prognostiziert Klaus Wenzel vom Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnen-Verband (BLLV). Und wenn der Freistaat das achtjährige Gymnasium einführt, "dann hätten wir 2004 ruckzuck einen großen zusätzlichen Lehrerbedarf."

Wenzel wünscht sich eine Kombination aus Elan, Eifer und Erfahrung, aus älteren und jungen Lehrern. "Aber der Mix gelingt nicht." Sind die Jobaussichten gut, steigen die Studentenzahlen. Werden viele Referendare fertig, werden keine Stellen frei. "Es wird zu wenig langfristig geplant im Schulbereich."

"Bildung - unser Ticket in die Zukunft" - unter diesem Motto rührt die Kultusministerkonferenz die Werbetrommel. 250 000 Euro lässt sie sich die Kampagne kosten. Auf dass es wieder genug Lehrer gebe. "Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, wie es 2010 aussieht", sagt GEW-Bezirksgeschäftsführer Frankl.

Von unserem Redaktionsmitglied Alice Natter

"Bildung ist vor allem ein Kostenfaktor"

würzburg (nat) Jochen U. Frankl studiert Latein, Deutsch und Griechisch und ist Sprecher der Würzburger GEW-Hochschulgruppe.

Fragen zum drohenden Lehrermangel.

Frage: Haben Sie Angst, später einmal alleine im Lehrerzimmer zu sitzen? Oder freuen Sie sich auf einen sicheren Arbeitsplatz?

Jochen Frankl: In erster Linie denke ich daran, mein Studium zeitig und erfolgreich zu beenden. Ich habe Spaß am Unterrichten, darauf freue ich mich. Ich befürchte allerdings nicht so sehr, "alleine im Lehrerzimmer zu sitzen", sondern die Ökonomisierung im Bildungsbereich, die sich von einem humanistischen Bildungsbegriff weg entwickelt. Das ist natürlich vor allem für meine Fächerverbindung fatal.

Steigende Studentenzahlen hier, fehlende Lehrer da - was ist denn Hauptursache des Problems?

Frankl: Trotz der Sonntagsreden von Politikern wird Bildung immer noch als Kostenfaktor angesehen, anstatt die Kosten als Investitionen in die Zukunft zu betrachten. Hauptursache also ist die fehlende Bereitschaft, hier zu investieren.

Wie kann man das Missverhältnis den fehllaufenden Zyklus durchbrechen?

Frankl: Um nicht rückwärtsgewandt zu argumentieren, könnte man beispielsweise Bildungsausgaben als Investitionen einordnen. Ohne solche Investitionen geht es jedenfalls nicht. Die Versuche, den kommenden Lehrermangel mit Mehrarbeit und Arbeitszeitverlängerungen aufzufangen, gehen einerseits auf Kosten einer ohnehin stark belasteten Berufsgruppe, andererseits auf Kosten der dringend notwendigen Qualitätsentwicklung.

Das Image ist nicht gerade gut. Weshalb wollen Sie dennoch Lehrer werden?

Frankl: Gespräche mit Kollegen, die schon im Beruf stehen, zeigen immer wieder, dass die Menschen sehr wohl Respekt vor denjenigen haben, die mit großen Gruppen von Kindern und Jugendlichen umgehen. Ferner ist mein vorrangiges Berufsziel die Ausbildung von Jugendlichen, nicht ein bestimmtes Prestige in der Gesellschaft.

Wie könnte der Lehrerberuf insgesamt attraktiver werden?

Frankl: Indem Journalisten und Politiker ihn in den Medien nicht schlecht redeten. Außerdem sollten die Bemühungen engagierter Kollegen von der Kultusbürokratie auch entsprechend gewürdigt werden.


Anmerkung des webmasters: siehe dazu Analysen und Zahlen zur Bildung, hier Nr 61