Gewerkschaft
zwischen Kosovo und Kapital »Zurück an den
Verhandlungstisch!«
1.-Mai-Kundgebung war vom Krieg in Jugoslawien überschattet
»Anständige Lohnerhöhung«
Aschaffenburg. Der Krieg im Kosovo überschattete am
Samstag die Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes
Aschaffenburg (DGB) zum 1. Mai. »NATO-Angriffe sofort
beenden! Kehrt zurück an den Verhandlungstisch!« Diese
Forderungen zogen sich durch Ansprachen von
Reinhard Frankl vom Friedenskomitee Aschaffenburg und von
Sybille Stamm, der Landesvorsitzenden der Industriegewerkschaft
Medien in Baden-Württemberg. Dahinter zurück blieben die
tarifpolitischen Ansprüche nach »einer anständigen
Lohnerhöhung« und nach Umverteilung.
»Arbeitslosigkeit abbauen, Einkommen verbessern und die
sozialen Sicherungssysteme ausbauen sind die Kernpunkte
gewerkschaftlicher Politik«, so der Aschaffenburger
DGB-Vorsitzende Remo Schardt in der Begrüßung der rund
700 Gewerkschafter auf der Großmutterwiese, von denen die
meisten zuvor in einem Demonstrationszug vom Schloß durch
die Innenstadt marschiert waren. Allein in den Betrieben am
bayerischen Untermain seien letztes Jahr 7,2 Millionen Überstunden
angefallen, aus denen rund 1380 neue Arbeitsplätze geschaffen
werden könnten. Die Arbeitslosigkeit vor Ort lasse sich
dadurch um über zehn Prozent reduzieren.
Auf die aktuellen Tarifverhandlungen in der Textil- und
Bekleidungsindustrie, in der zum 30. April die Tarifverträge
ausliefen, ging Maria Greipl von der IG Metall ein. Angesichts
eines schrumpfenden Anteils von Löhnen und Gehältern am
Umsatz und eines Einkommensrückstands von 8,50 Mark gegenüber
den Stundenlöhnen im Durchschnitt aller Industriezweige war
ihr Ziel eindeutig: mehr Geld in die Taschen
der Beschäftigten und die Übernahme aller
Auszubildenden.
»Ein Angriffskrieg«
»Neues Handeln für unser Land« dem
Leitmotiv des DGB für den 1. Mai konnte Reinhard Frankl vom
Aschaffenburger
Friedenskomitee angesichts der Bilder und Nachrichten von
Bombardements in Jugoslawien nur einen zynischen Beigeschmack
abgewinnen.
Harte Worte fand er für die Regierung: »Etliche, die
sich einmal als Teil der Friedensbewegung begriffen haben, stehen
heute hinter einer Politik, die internationales Recht sowie
internationale Gesetze mißachtet und einen Angriffskrieg
gegen ein souveränes europäisches Land vom Zaun
gebrochen hat.«
Durch vorschnelle Erklärungen des DGB-Vorsitzenden Dieter
Schulte, der der rot-grünen Koalition die Unterstützung
der Gewerkschaften zum Vorgehen in Jugoslawien zugesichert habe,
werde das antimilitaristische Selbstverständnis der
Gewerkschaften eilfertig preisgegeben. Frankls Fazit: »Die
Balkanvölker können und müssen ihre Angelegenheiten
selber regeln. Die NATO und die Bundeswehr haben dort nichts zu
suchen.«
Eine sofortige Beendigung der »NATO-Angriffe« und
eine Rückkehr an den Konferenztisch forderte auch Sybille
Stamm, die Hauptrednerin der Maikundgebung. Insbesondere die
demokratischen und unabhängigen Gewerkschaften in Serbien,
Montenegro und im Kosovo brauchten Unterstützung, damit der
Dialog und die Diplomatie wieder in Gang kämen.
Die Gewerkschaften in der Bundesrepublik hätten sich vom
Politikwechsel viel versprochen, aber die »Kluft zwischen
Wahlversprechen und Umsetzung ist groß«. Die Lobby der
Firmen nehme schamlos Einfluß auf die Politik. Etwa bei der
Steuerpolitik, bei der der DaimlerChrysler-Konzern eine Rücknahme
der Gesetzgebung fordere, obwohl er bis zum Jahr 2001 wegen des
Verlustvortrags durch die Fokker-Pleite »keine müde
Mark Steuern zahlen wird«.
Was die Bundesrepublik brauche, seien Arbeits- und
Ausbildungsplätze, nicht auf Kosten der Frauen und nicht auf
Kosten der Armen. Die Aktienkurse stiegen, ebenso die Zahl der
Vermögensmillionäre, gleichzeitig habe die
Bundesrepublik einen Exportrekord eingefahren. Die Ausfuhr alleine
könne die Binnenkonjunktur nicht ankurbeln. Dazu bedürfe
es anständiger Lohn- und Gehaltssteigerungen; außerdem
sei ein Stück Umverteilung nötig.
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