MAIN-ECHO 7.2.1998:
Revolution aus Messer-und-Gabel-Interesse
Aber die Sehnsucht nach der Freiheit blieb
Sozialwissenschaftlerin Dr. Monika Schmittner über »150
Jahre deutsche Revolution«
Aschaffenburg. In den Faschingstagen des Jahres 1848
ging es rund in Aschaffenburg und Umgebung. Amtliche Berichte
sprachen gar von einem »Unruheherd erster Ordnung«.
Kleinbürger, Mainschiffer und ländliche Bevölkerung
erhoben sich gegen die Obrigkeit und kämpften für
Freiheit. Bei der Jubiläumsveranstaltung »150 Jahre
deutsche Revolution«, sprach die Sozialwissenschaftlerin Dr.
Monika Schmittner aus Goldbach über die lokalen Ereignisse
der Märzrevolution. Und nachdem die Gewerkschaft Erziehung
und Wissenschaft (GEW) eingeladen hatte, fand die Situation der
Lehrer besondere Berücksichtigung.
»Nie zuvor reagierten die Deutschen so euphorisch auf die
Revolution wie im Februar 1848«, meinte Schmittner zu Beginn
ihres spannenden und detailreichen Vortrags, den der
Aschaffenburger GEW-Kreisvorsitzende Reinhard Frankl ein »Stück
echten Heimatbezugs für den Geschichtsunterricht«
nannte. Man erhoffte sich persönliche Freiheit, nationale
Einheit und zum Teil die Abschaffung der Monarchie.
Gegen Pfaffen und Geldsäcke
Auslöser war die Botschaft vom Sturz des französischen
Königs Louis Philippe im Februar 1848 und der Installation
einer republikanischen Regierung, die sich entlang der Flüsse
Rhein, Neckar und Main in sensationeller Geschwindigkeit
verbreitet hatte.
Von Frankfurt und Hanau, wo bereits im Januar ein Flugblatt zum
Kampf gegen »schonungslose Volksschinder, Pfaffen und
Geldsäcke« aufgefordert hatte, griff die Bewegung auch
auf Aschaffenburg über. Die Ursachen der revolutionären
Begeisterung lagen nach Schmittners Darstellung am bayerischen
Untermain eher in sozialen, denn in politischen Mißständen.
Bayern hatte bereits eine fortschrittliche, wenngleich wenig
beachtete, Verfassung. Die Aschaffenburger, 1814 Bayern
zugeschlagen, liebten ihren König. Dagegen hätten
Mißernten, überbordende Abgaben und Zinsen im
ländlichen Bereich und kleinere Konflikte mit der Obrigkeit
in der Stadt revolutionäre Schubkraft gezeitigt.
Am 20. Januar kam es beim Ball des Schützenvereins zum
ersten offenen Tumult. Er richtete sich gegen die verhaßten
Beamten Stephan Kaden, Kommandant der Landwehr, und Rechtsrat
Wilhelm Konrad Bühler. In den folgenden Wochen spitzte sich
der Konflikt zu. Im Café Seitz wurden revolutionäre
Reden geschwungen und zur Besetzung des Schlosses aufgerufen,
Krawalle am Scharfeck forderten »Pressfreiheit«. Eine
Revolutionszeitung wurde gedruckt, und ein Geschäft in der
Herstallstraße mit den Revolutionsfarben Schwarz-Rot-Gold
dekoriert.
Mit Mistgabeln bewaffnet
Kaden mußte zurücktreten. Am 7. März, dem
Faschingsdienstag, verlangten schließlich 300 mit Sensen und
Mistgabeln bewaffnete Bürger vom Magistrat die Entlassung
Bühlers, der auch stattgegeben wurde; ebenso wurde der
Assessor des Bezirksamts, Franz-Joseph Mahut, aus dem Amt
entfernt.
Beim Sturm auf das Landgerichtsgebäude waren neben
Bildungsbürgern und Kleinbürgern aus der Stadt, darunter
viele Frauen, auch die Mainschiffer und Kleinbauern aus dem
ländlichen Damm stark vertreten, ebenso Arbeiter und
Firmeninhaber der Dämmer Buntpapier- und der Steingutfabrik.
Auf der Gegenseite stand die Landwehr, ein Zusammenschluß
aus Militär, Bürgerwache und den Studenten der
Forsthochschule.
Nicht politische, sondern »Messer-und- Gabel-Interessen«,
also die Angst vor Not und sozialem Abstieg aufgrund der
konkurrierenden Dampfschiffahrt, trieben nach Schmittners Analyse
die Mainschiffer aus der Fischergasse zum Kampf. Die ländliche
Unterschicht, Knechte und von Verarmung bedrohte Kleinbauern, trug
die neue Massenbewegung mit, weil sie sich Aufhebung der
Zehntabgaben und Freigabe der Wälder für Holzlese und
Schweinemast erwartete.
Auch die Volksschullehrer in Unter- und Mittelfranken waren in
einer desolaten Lage: schlechte Arbeitsbedingungen (in Zellingen
mußte ein Lehrer 300 Kinder unterrichten), uneinheitliche
Bezahlung, materielle Not, daraus resultierend eine hohe
Sterblichkeit, Unterordnung unter die schulaufsichtführenden
Ortspfarrer.
»Die Lehrer hatten wenig zu verlieren und viel zu
gewinnen«, sagte Monika Schmittner. Mit Petitionen wandte
sich die gesamte unterfränkische Lehrerschaft an die
Nationalversammlung in Frankfurt. Sie forderte unter anderem
Unterricht als Staatsangelegenheit unter fachlicher Aufsicht und
die Ausbildung von Lehrern an Universitäten.
Wenn auch in Aschaffenburg nach einer Woche alles vorbei war
die Wortführer wurden nie gerichtlich belangt , hatte
doch, so Schmittner, in den Märzaufständen die liberale
Bewegung Fuß gefaßt. Sie spaltete sich in einen
radikal-demokratischen und einen konstitutionellen Flügel.
Als Gegenbewegung auf reaktionäre katholische Pius-Vereine
gründeten Intelligenz, Mittelstand und Kleinkaufleute im
Februar 1849 »Volksvereine« mit starkem Zulauf in
Stadt und Land. Trotz massiver Repressalien organisierte sich die
Lehrerschaft in Waisenunterstützungsvereinen zu vordergründig
sozialen Zwecken.
Grundstein für Demokratie
1850 war die Revolution endgültig niedergeschlagen, die
Versammlung in der Paulskirche aufgelöst. Es gab
Gerichtsverfahren, Haftstrafen, Todesurteile. Die soziale Frage
blieb ungeklärt, Tausende wanderten aus.
- Dennoch sprach Schmittner nur vom relativen Scheitern der
Revolution: »Der Grundstein für die Demokratie war
gelegt, die Sehnsucht nach Freiheit ließ sich nicht mehr
zurückdrehen.« luhi
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