DR. EVA-MARIA STANGE aus Dresden, seit Mai Bundesvorsitzende der Gewerkschaft
Erziehung und Wissenschaft (GEW), warb in Aschaffenburg für
die Weiterentwicklung der GEW zu einer tariffähigen
Bildungsgewerkscbaft.
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MAIN-ECHO 5.12.1997:
Ob mit oder ohne Fusion: GEW
will tariffähige Bildungsgewerkschaft werden
GEW-Bundesvorsitzende zu
Neuorganisation oder Fusion der Dienstleistungs-Gewerkschaften
Aschaffenburg. Die
Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) will sich zu einer
tariffähigen Bildungsgewerkschaft weiterentwickeln. Sie will
bildungspolitischer Meinungsführer und Interessenvertreterin
aller Beschäftigter in allen Bildungsbereichen sein. Dieses
Ziel soll nach Ansicht der GEW-Bundesvorsitzenden Dr. Eva-Maria
Stange unabhängig davon verfolgt werden, ob es zu einer
Neustrukturierung oder Fusion mit anderen
Dienstleistungs-Gewerkschaften kommen wird oder nicht. Stange
sprach am Mittwochabend auf einer GEW-Mitgliederversammlung im
DGB-Haus in Aschaffenburg zum Thema »Fusion - Vitamin oder
Virus?«.
Zudem
beleuchtete die GEW-Bundesvorsitzende die Frage, ob es im Kampf um
eine bessere Bildung mit einem schlanken Staat und einer
unförmigen Dienstleistungsgesellschaft echte Fortschritte
geben kann. Stange hält dies nicht für möglich,
auch wenn Bundespräsident Roman Herzog, Arbeitgeberverbände
und die großen Volksparteien sich das Thema Bildung auf die
Fahne geschrieben hätten. Bildung werde in Herzogs
Grundsatzrede darauf reduziert, was marktverwertbar sei. Damit
habe der Neoliberalismus jetzt auch die Schulen und Hochschulen
erreicht.
Nachteil des schlanken
Staats
Ein
schlanker Staat bedeute auch, daß weniger Mittel für
staatliche Aufgaben zur Verfügung stünden. Darunter
hätten »weiche« Bereiche wie die Bildung zu
leiden. Die Folgen von Sparmaßnahmen in diesem Bereich
würden von den Politikern nicht als vorrangig angesehen, da
sie sich erst langfristig auswirkten, häufig nach zwei
Legislaturperioden. Ebenfalls problematisch sei es, daß auch
dort, wo Mittel verfügbar seien, nicht in die Bildung
investiert werde. Offensichtlich sei der Druck auf die, die eine
Umverteilung im Haushalt bewerkstelligen könnten, nicht groß
genug.
Doch
ein schlanker Staat könne auch Entbürokratisierung, mehr
Kundenfreundlichkeit, mehr Effektivität durch
Mitarbeiterbeteiligung, stärkere Autonomie und
Selbstverwaltung sowie effizienteren Mitteleinsatz bedeuten.
Vorrangiges
Ziel der GEW sei es, eine tariffähige Bildungsgewerkschaft zu
werden, auch wenn derzeit über eine Neustrukturierung
nachgedacht werde. Vor allem Abgrenzungs- und Konkurrenzprobleme
unter den Gewerkschaften im Dienstleistungsbereich, der
Mitgliederräckgang und damit verbundene Finanzverluste sowie
das Entstehen neuer Beschäftigungsfelder, die derzeit noch
nicht von Gewerkschaften besetzt würden, hätten zu
Überlegungen wie Neuorganisation oder Fusion geführt.
Im
Ergebnis soll eine Neustrukturierung nach Ansicht Stanges eine
Stärkung der Attraktivität der Gewerkschaften bringen.
Die künftige Gewerkschaftsarbeit soll sich durch eine
stärkere Flächenpräsenz, effizientere Strukturen,
höhere Effektivität, Durchsetzungsfähigkeit und
Tarifkompetenz auszeichnen.
Als
beunruhigend bezeichnete es Stange, daß es kein
Gesamtkonzept des DGB zu dieser Frage gebe. Ohne klare
Orientierung oder Einbeziehung des DGB liefen die Fusionsgespräche
derzeit bi- oder trilateral. Seit Juli dieses Jahres befänden
sich DAG, ÖTV, IG Medien, DPG, HBV, GdED und die GEW in
Gesprächen zum Thema Fusion. Unabhängig davon, ob es zu
einem Zusammenschluß kommen werde, werde die GEW nach den
Gesprächsrunden nicht mehr dieselbe sein.
Die
GEW wolle in den Fusionsgesprächen nicht als Störer oder
gar Bremser auftreten, sondern die GEW-Interesssen konstruktiv
miteinbringen. Wichtig sei es, so Stange, daß die
Entscheidungen zum weiteren Kurs der GEW nicht alleine auf
Funktionärsebene gefällt würden. Deshalb sei es
richtig, zum jetzigen Zeitpunkt auf Kreis-ebene die Meinung der
Mitglieder zu dieser wegweisenden Entscheidung einzuholen.
Gemeinsam
entscheiden
»Wir
müssen gemeinsam entscheiden, ob wir uns in diesen neuen
Strukturen wiederfinden, diesen Kurs weitergehen wollen«,
sagte Stange. Die GEW müsse selbstkritisch Revue passieren
lassen, ob sie auf dem Weg zu der Bildungsgewerkschaft sei.
Schließlich müsse auch der Begriff »Tariffähige
Bildungsgewerkschaft« mit inhaltlichem Leben gefüllt
und präzise definiert werden. Dieser Diskussionsprozeß
sei für die Weiterentwicklung des Selbstverständnisses
der GEW wichtig. Auch wenn es zu einem Ausstieg aus der
Neustrukturierung kommen sollte, wird die GEW gestärkt aus
diesem Prozeß hervorgehen, ist Stange überzeugt.
Jürgen
Parr
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