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Pressemitteilung 06/97 v. 23.6.97
"Bildungs-Ressourcen
bedenkenlos verspielt!"
Stellvertretender
GEW-Bundesvorsitzender in Aschaffenburg: "Arbeitgeber und
Bundesregierung stehen 1997/98 vor einem Scherbenhaufen"
- Heinz Putzhammer, der neue stellvertretende Bundesvorsitzende
der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) nahm auf der
letzten Mitgliederversammlung des Kreisverbandes Aschaffenburg in
seinem Bericht über den jüngsten Gewerkschaftstag der
GEW in Chemnitz auch Stellung zum Thema "Die aktuelle
Situation in der Berufsausbildung": Während der Beginn
des neuen Ausbildungsjahres immer näher rückt, blicken
etwa 320.000 Jugendliche in eine düstere Zukunft. Sie waren
bisher auf der Suche nach einer Lehrstelle noch ohne Erfolg und
ihre Chancen werden immer schlechter, denn bundesweit stehen für
sie gerade noch etwa 130.000 Plätze offen. Im
Ausbildungsjahr 1997/98 fehlen knapp 200.000 Ausbildungsplätze.
"Bundesregierung und Arbeitgeberverbände stehen im
Sommer 1997 vor einem Scherbenhaufen in der Berufsausbildung. Nie
in den letzten 25 Jahren war die Situation für die
Jugendlichen so dramatisch wie heute", bewertete Putzhammer
die neuesten Daten vom Lehrstellenmarkt. Bei einer Zunahme der
Bewerberzahl für Ausbildungsplätze von 7,4 Prozent ging
das Lehrstellenangebot bundesweit um über 5 Prozent
bundesweit, im Osten sogar um 8,5 Prozent
zurück.
Kreisvorsitzender Reinhard Frankl konnte diese
Zahlen durch Beobachtungen vor Ort ergänzen: "So haben
jetzt in ihrem letzten Schulmonat z.B. in zwei neunten Klassen
einer Aschaffenburger Stadtteilschule von je 25 Schülerinnen
und Schülern gerade mal 5 Knaben und 2 Mädchen bzw. 8
Knaben und ein Mädchen einen Ausbildungsvertrag in der
Tasche - gewiß keine Einzelfälle in Aschaffenburg! Wie
zynisch muß Schülern und Eltern die erst kürzlich
gegebene großspurige 'Ausbildungsgarantie' unseres
Kultusministers Zehetmair in den Ohren klingen?" Mit dem
Argument, für die Arbeitgeber müßten Anreize zur
Einrichtung von Lehrstellen geschaffen werden, war erst im
letzten Jahr eine von Bundesbildungsminister Rüttgers
eingeleitete und vom Bundesrat beschlossene Demontage des
Jugendarbeitsschutzes vorgenommen worden. Außerdem waren
die Ausbildereignungsvorschriften aufgeweicht und erste Maßnahmen
zur Abschaffung des zweiten Berufsschultages getroffen worden.
Zur Verbesserung der Ausbildungschancen für Jugendliche trug
dies jedoch offensichtlich nicht bei. "Die gegenwärtige
Ausbildungsmisere zeigt, wie hohl die Beschwörungs formeln
und Versprechungen von Bundesregierung und Arbeitgeberverbänden
tatsächlich waren", kritisierte Putzhammer. "Die
derzeitigen geburtenstarken Schulabgänger-Jahrgänge mit
weiter steigenden Bewerberzahlen waren natür lich
vorhersehbar. Trotzdem haben Regierung und Wirtschaft es
versäumt, sich darauf einzustellen. Auch in den nächsten
Jahren wird der Bedarf an Lehrstellen nicht zurückgehen und
noch immer ist kein wirksames Konzept zur Verbesserung der
Situation in Sicht. Im Gegenteil, bedenkenlos wird nun die
Ausbildungsnot der Jugend zum Angriff auf die Ausbildungsqualität
und die sozialen und materiellen Rechte der Auszubildenden
genutzt." So wird verlangt, den Berufsschulunterricht auf
einen Tag in der Woche zu reduzieren und allgemeinbildende Fächer
in der Berufsschule abzuschaffen. Weiter wird geplant, zwei
Ausbildungsplätze auf drei Auszubildende aufzuteilen und die
Ausbildungsvergütungen deutlich zu kürzen. "Die
beschlossene Kürzung des Bundeszuschusses von 9,4 auf 4,1
Mrd. DM im Haushalt der Bundesanstalt für Arbeit läuft
darauf hinaus, daß ein großer Teil der jugendlichen
Schulabgänger ohne weitere Aussichten für ihre Zukunft
sich selbst überlassen bleibt", stellte Putzhammer
fest. So wird erstmals auch die Berufsausbildung von Behinderten
und Benachteiligten deutlich beeinträchtigt. Hervorragend
ausgebaute Ausbildungskapazitäten in Berufs bildungswerken
werden leerstehen und speziell für die Behindertenarbeit
qualifiziertes Ausbildungspersonal wird entlassen. Angesichts
der katastrophalen Ausbildungssituation fordert die GEW, daß
die Parteien im Deutschen Bundestag ein Bundesausbildungsgesetz
beschließen, wie es der DGB zum Zwecke des Lastenausgleichs
durch eine Umlagefinanzierung zwischen ausbildenden und nicht
ausbildenden Betrieben fordert. Über ihren eigenen Bedarf
hinaus ausbildende Betriebe sollen keine Wettbewerbsnachteile
haben, nur weil sie ihre Verantwortung gegenüber der Jugend
ernstnehmen. "Wer nicht ausbildet, soll zahlen",
erklärte Putzhammer. "Es ist auch nicht zu akzeptieren,
daß diese Pflichtaufgabe der Unternehmen immer mehr vom
Staat aus Steuermitteln finanziert werden muß, zumal die
Unternehmen direkt von der Ausbildung der Jugendlichen
profitieren können." Vorschläge zur Absenkung
von Ausbildungsvergütungen, Teilung von Ausbildungs plätzen,
Schmalspurausbildungen und zur Kürzung des
Berufsschulanteils in der Ausbildung müßten auch durch
die Politiker deutlich zurückgewiesen werden. "Die
Angriffe auf die Qualität der Ausbildung schaffen keinen
einzigen zusätzlichen Arbeitsplatz. Hier wird jedoch unsere
vielbeschworene und tatsächlich wichtigste Ressource, ein
gutes Bildungsniveau, leichtfertig verspielt.", bemerkte
Putzhammer abschließend.
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