Erzieher fordern weniger Stress und
mehr Geld
Streikwelle: Elf Kindergärten im
Altlandkreis Obernburg gestern im Ausstand - Zentrale Kundgebung in
Erlenbach Über hundert Erzieherinnen, Sozialarbeiter und Eltern waren zur Kundgebung im Erlenbacher Kindergarten in der Fröbelstraße gekommen, um für bessere Arbeitsbedingungen einzutreten. Die Vertreter der Gewerkschaften und die betroffenen Erzieher und Sozialarbeiter übten teilweise harsche Kritik an den Arbeitgebern und deren fehlender Bereitschaft, bessere Löhne zu zahlen. Zudem kündigten sie an, die Streiks weiter auszudehnen, falls die Arbeitgeber auch weiterhin die Zusammenarbeit verweigerten. Hintergrund der Proteste sind die immer härteren Arbeitsbedingungen im sozialen Bereich. Birgit Stein von Verdi forderte in ihrer Rede mehr Rücksicht der Arbeitgeber auf die Belange der Erzieher. Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmer müsse mit befristeten Arbeitsverträgen vorlieb nehmen, zudem seien immer mehr zur Teilzeitarbeit gezwungen. Von solchen Löhnen kann man nicht leben. Birgit Stein, Verdi "Von solchen Löhnen, die deutlich unter dem Gehalt eines Industriearbeiters oder Grundschullehrers liegen, kann man nicht leben. Wenn man nicht weiß, ob man im nächsten Jahr noch eine Arbeit hat, wird der nächste Urlaub, die Anschaffung von neuen Möbeln oder einem Auto schnell zur existenziellen Frage", fasste Stein die Lage zusammen. In einem Beruf, der neben viel persönlicher Verantwortung auch gesundheitlich und psychisch große Herausforderungen an das Personal stelle, sei das inakzeptabel. Auch Monika Hartl von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) unterstrich die gesellschaftliche Bedeutung der Kindertagesstätten und Jugendzentren. Bei immer größeren Gruppen und längeren Betreuungszeiten sei es schwierig, die Qualität der Betreuung auch weiterhin sicherzustellen. Arbeitsbedingungen unter die Lupe Stein fasste die Forderungen der Streikenden in zwei Eckpunkten zusammen: Zum einen sei es wichtig, die Stressfaktoren zu minimieren. Dazu müssten die Arbeitsbedingungen in Kindergärten und Jugendzentren in Zukunft stärker unter die Lupe genommen und durch bauliche Maßnahmen wie Ruheräume verbessert werden. Ebenso wichtig sei jedoch auch die Verbesserung der gesellschaftlichen Situation von Erziehern und Sozialpädagogen, vor allem durch eine angemessene Bezahlung. "Die Ausbildungszeiten in diesen Berufen sind mit durchschnittlich fünf Jahren sehr lang. Zudem sind die Erzieherinnen und Erzieher in der Regel schulisch gut gebildet, hoch engagiert und äußerst motiviert", so Stein. Das Problem bestehe vor allem darin, das im Gegensatz zu Arbeitern in großen Industriebetrieben die Arbeit in diesem Berufsfeldern vor allem in kleinen Teams oder in Einzelarbeit ausgeführt wird. So publikumswirksame Streiks wie in anderen Bereichen seien nur schwer zu organisieren. Trotzdem seien alle Beteiligten bereit, die Streiks noch zu steigern, falls sich die Arbeitgeber nicht bewegten. "Wir werden sehr genau
hinschauen, wie sich die Lokalpolitiker verhalten." Sozialpädagoge Rudi Reißmann vom Jugendzentrum in Erlenbach unterstrich die Notwendigkeit besserer Arbeitsbedingungen und richtete direkte Worte an die Verantwortlichen: "Wir werden sehr genau hinschauen, wie sich die Lokalpolitiker verhalten. Bis zur nächsten Wahl ist es nicht mehr weit." Auch die Leiterin des Kindergartens Fröbelstraße, Anne Ehrentraut, erntete viel Beifall für ihre Rede: "Dieser Streik ist längst überfällig. Immerhin geht es um unsere Gesundheit." Bei der Urabstimmung am 13. Mai hatten sich die Mitglieder der Gewerkschaft zum Arbeitskampf entschlossen. Bis vor einigen Wochen war jedoch ungewiss, ob es auch im Landkreis Miltenberg zu Streiks kommen würde. Von der starken Beteiligung zeigten sich selbst die Veranstalter überrascht: Alle fünf Elsenfelder Kindergärten und die vier Erlenbacher Einrichtungen hatten sich den Streikenden angeschlossen. Auch die Kolleginnen und Kollegen aus Mömlingen und Obernburg hatten ihre Kitas vorübergehend dicht gemacht, um in Erlenbach zu protestieren. Für Härtefälle wurde in den Kindergärten ein Notdienst eingerichtet. Offenbar waren die Eltern auf diesen ersten Streiktag jedoch gut vorbereitet: Zumindest im Erlenbacher Kindergarten musste niemand den Notdienst in Anspruch nehmen. Andreas Göbel
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