»Plötzlich heißt es: Denk nach«

Diskussion: Können Schüler in einem hierarchischen System Demokratie lernen?

Aschaffenburg. Man wird nicht als Demokrat geboren - man muss Demokratie lernen. Dieser Leitsatz durchzog die Podiumsdiskussion, die

der Kreisjugendring, der Schülerverein ASV und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW im evangelischen Jugendzentrum Juz angesetzt hatten. Blieb nur die Frage: Ist Schule mit ihren heutigen Strukturen ein demokratischer Ort?

Heinz Kreiselmeyer, pensionierter Leiter der staatlichen Schulaufsichtsbehörde Ansbach, ist davon nicht überzeugt. Er hat sich über Jahre für eine demokratischere und offenere Schule eingesetzt. Man müsse, so betonte er in einem Referat zu Beginn der Diskussion, bedenken, dass sich die Struktur der Schule über Epochen hinweg kaum verändert habe. Er stellt Fragen in den Raum: Ob sie als Überbleibsel der Kaiserzeit und Überlebende der NS-Diktatur zur demokratischen Gesellschaft passe?

Kreiselmeyers Beitrag eröffnete eine umfassende Reihe von Themen: Schulforum, Klassenrat und Evaluation sollten besprochen werden. In dieser Stofffülle blieb es meist bei Stellungnahmen - nur bisweilen gelang die tatsächliche Diskussion, an der sich auch das Publikum beteiligte. Dennoch fiel der Abend aus dem Rahmen: Denn schulinterne Probleme gelangen nur selten an die Öffentlichkeit - auch das ist ein Sachverhalt, den Kreiselmeyer ankreidet.

Das Schulforum - ein schulinternes Gremium aus Eltern, Lehrern, Schülersprechern und Schulleiter - mutet zumindest demokratisch an. Allerdings, so räumte der Leiter des Kronberg-Gymnasiums, Wolfram Paulus ein, kämen in darin die Schülersprecher oft zu kurz.

Schülerin Anke Schwarzkopf kritisierte außerdem, dass das Schulforum ohnehin ein zahnloser Tiger sei - denn letztlich habe der Schulleiter bei allen Entscheidungen das Vetorecht. Ihr praktischer Vorschlag: Die Abstimmungen, die im Schulforum getroffen werden, einzuhalten. Das Organ Schulforum an der Schule bekannter zu machen.

Dass die meisten Schüler gar nicht wüssten, welche Möglichkeiten der Mitbestimmung es gibt, bestätigte auch der Alzenauer Vincent Steinl, der dem Berliner Verein Bildungswerk für Schülervertretungsarbeit in Deutschland vorsteht. Studien belegten, dass nur 12 Prozent der 15-jährigen Schüler Erfahrungen mit Gremien der Schülermitverwaltung gemacht hätten.

Dass sich Schüler bisweilen wenig für ihre Rechte interessieren, dass mitunter sogar das Amt des Klassensprechers von der Klasse wenig ernst genommen wird - die Podiumsteilnehmer waren sich einig, woran das liegen könnte. Wer sich nicht ernstgenommen fühlt, schaltet ab. »Ich darf in der Schule nicht nachdenken«, brachte es eine Schülerin aus dem Publikum auf den Punkt. »Und plötzlich heißt es: Denk mal nach«.

Selbstbestimmtes, projektbezogenes und weitgehend eigenverantwortliches Arbeiten - wie es vereinzelt schon an der Grundschule üblich ist - könnte ein Weg zum mündigen Schüler sein. Modelle dafür gibt es auch am Gymnasium: Schwarzkopf etwa berichtete von den »Zeit für Uns«-Stunden, die an der Maria-Ward-Schule seit einigen Jahren erfolgreich laufen. In diesen Stunden steht der Lehrer zurück, Schüler moderieren das Gespräch, das sich um aktuelle Anliegen der Klasse dreht.

Derartige Freiräume, betonte auch Steinl, seien nötig, um die Konfliktfähigkeit der Schüler zu stärken. Paulus stimmt zu - räumte aber ein, dass solche pädagogischen Freiräume immer schwerer zu schaffen seien. Die Frage, ob die Schulen mehr Autonomie brauchen - und irgendwann vielleicht sogar den Schulleiter wählen - beantwortete Reinhard Frankl von der GEW umfassend. »Erst brauchen wir Demokratie, dann können wir über mehr Autonomie sprechen«, stellte er klar. »Betriebswirtschaftliche Eigenverantwortung wollen wir nicht«. Paulus stimmte zu: »Bei dem Wort Selbstverwaltung schellen bei mir die Alarmglocken«, erklärte er. »Das bedeutet doch nur mehr Mangelverwaltung«. Dr. Hege Blanke, der am Hösbacher Hanns-Seidel-Gymnasium unterrichtet, fragte provokant nach: »Was bringt es uns, den Schulleiter zu wählen?« Auch Paulus holte die Utopie auf den Boden zurück: Solange er als Schulleiter die Leistung der Lehrer beurteile, nehme er eine besondere Funktion ein. »Und das ist demokratisch nicht möglich«. Moni Münch