»Rückschritt für Gewerkschaft«

In Aschaffenburg gibt es kein DGB-Haus mehr

Aschaffenburg. »Nimm deshalb bitte zur Kenntnis, dass wir kein DGB-Haus mehr haben!« Gegenüber dem Kollegen Reinhard Frankl von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) schreibt IG-Metall-Bevollmächtigter Herbert Reitz Klartext: Das neue Gebäude im Haselmühlweg 1, das zum Jahreswechsel bezogen wurde, ist demnach nur ein Bürohaus, in dem unter anderem auch Gewerkschaftsorganisationen Räume mieten.

Eingezogen sind in das von May & Eilbacher errichtete Gebäude neben drei Privatleuten und der Salutifer GmbH die Industriegewerkschaften Bergbau Chemie Energie (BCE) und Metall (IGM), der DGB und die Rechtsschutz GmbH (wir berichteten).

Verdi und IG Bauen Agrar Umwelt (IG BAU) haben schon eine Weile vorher in der Innenstadt eine eigene Bleibe gefunden: Sie haben durch ihren Auszug die gewerkschaftliche Hausgemeinschaft aufgelöst und sind damit der Grund, dass kleinere Organisationen nun ohne Dach über dem Kopf dastehen.

Kein Dach über dem Kopf

Leidtragende sind nach dem Umzug von der Kerschensteinerstraße nach Damm die Gewerkschaften, die sich in Aschaffenburg keinen hauptamtlichen Apparat leisten können: Bis zum Jahreswechsel hatte sich die GEW zu ihren
Monatsversammlungen ganz selbstverständlich im ehemaligen Gewerkschaftshaus getroffen.

Frankl lobt die Arbeitsatmosphäre dort, aber auch, dass hier - im Gegensatz zu Treffen in Gastwirtschaften - schon mal vertrauliche Dinge besprochen werden konnten, ohne jeden Augenblick mit der Bedienung rechnen zu müssen. Heute weicht die GEW in das Martinushaus aus - und findet dort laut Frankl »tolle Bedingungen« vor.

Jeder für sich

Für Frankl ist die räumliche Trennung dennoch »ein Rückschritt für die Gewerkschaftsbewegung« und passt zum gesellschaftlichen Trend »Jeder für sich«. Auch deshalb wandte er sich »mit großer Wut« an den IG-Metall-Bevollmächtigten Herbert Reitz, als dieser mitteilte, dass es nicht möglich sei, der GEW den Sitzungsraum zu überlassen.

Kein Verständnis hat Frankl für Reitz? Argumente, dass schon die Schlüsselübergabe eine für beide Seiten unzumutbare Prozedur wäre: Entweder müsste eine Mitarbeiterin des IG-Metall-Büros bis 20Uhr bleiben oder ein GEW-Vertreter den Schlüssel schon um 17.30 Uhr abholen. Zum anderen lehnt Reitz die Herausgabe eines Gruppenschlüssels ab, da mit dem auch andere Räume aufgesperrt werden können.

Nicht hinnehmen will Frankl, dass es Probleme mit der Reinigung des Sitzungssaals gebe, wenn der Raum von
anderen Gewerkschaftsorganisationen genutzt würde: Im Gegensatz zum alten Gewerkschaftshaus in der Kerschensteinerstraße gibt es im Haselmühlweg zwar eine Reinigungsfirma, aber keinen Hausmeister mehr. Frankl ist aber sicher, dass das bei gutem Willen zu lösen wäre.

Reitz streitet zunächst ab, dass das Gebäude im Haselmühlweg nur der IGM, der BCE, dem DGB und der Rechtsschutz GmbH offen stehe, macht dann aber mit einem gewissen Zynismus deutlich, wie er diese Aussage versteht: Den anderen Gewerkschaften sei es unbenommen, im Gebäude dauerhaft Räume zu mieten. Täten sie das, könnten sie auch die Sitzungssäle nutzen. Anders ginge es nicht, ohne die übrigen Mieter zu stören. Reitz: Das Gebäude im Haselmühlweg sei »ein privates Haus, in dem Menschen leben und wohnen«.

Der DGB-Bereichsvorsitzende Remo Schardt bestätigt, dass es in Aschaffenburg kein Gewerkschaftshaus mehr gibt. Die Untergliederungen des DGB, die im Haselmühlweg eine neue Bleibe gefunden haben, zahlten Miete an May & Eilbacher: »Die anderen haben in diesem Haus keine Rechte!«

Käufer gesucht

Für das alte Gewerkschaftshaus in der Kerschensteinerstraße sucht die DGB-eigene Vermögens- und Treuhandgesellschaft (VTG) noch einen Käufer: »Wir sind in Verhandlungen«, sagt VTG-Geschäftsführer Gottfried Feichtinger. Der Gewerkschaftsbund sei bestrebt, seine Untergliederungen in Aschaffenburg wieder unter ein Dach zu bekommen. Da die Einzelgewerkschaften aber teilweise über mehrere Jahre laufende Mietverträge abgeschlossen haben, sei dieses Ziel nur langfristig zu realisieren. wdr



Erscheinungsdatum: 24.04.2006