"Wir sind das Volk!" Trotz Dauerregens zogen am Samstag rund 350 Menschen zur Aschaffenburger Maikundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes auf die Großmutterwiese.

Foto: Peter Rogowsky

»Großkapital zockt Steuern ab«

Aschaffenburger DGB-Maikundgebung bei strömenden Regen: »Wir sind das Volk!«

Aschaffenburg. Wut und Enttäuschung darüber, dass Großkonzerne und Politik »die Grundlagen dieser Gesellschaft kaputt machen und Eigentum zu nichts mehr verpflichtet«, sprach aus den Reden bei der Aschaffenburger Maikundgebung.
Trotz Dauerregens hatten sich am Samstag rund 350 Menschen dem Zug des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) durch die Innenstadt zur Großmutterwiese angeschlossen.

Es sei eine »Dreistigkeit und Diffamierung«, den Beschäftigten in Deutschland vorzuwerfen, sie arbeiteten zu wenig, sagte Wolfgang Müller von der IG-Metall-Bezirksleitung München. In den meisten Betrieben werde inzwischen tatsächlich weit länger als 40 Stunden in der Woche gearbeitet.

Was die Arbeitgeber in Wirklichkeit anstrebten, seien weitere Einsparungen durch unbezahlte Arbeitszeiterhöhung. Die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche bedeute unterm Strich 12,5 Prozent Arbeitslose mehr, sagte Müller. Vorher hatte schon Remo Schardt vom DGB Aschaffenburg an die Aussage von Ministerpräsident Edmund Stoiber erinnert, mit der Einführung der 42-Stunden-Woche im öffentlichen Dienst würden in Bayern rund 5000 Arbeitsplätze eingespart.

Dass die Lohnnebenkosten in Deutschland in der Tat höher sind als in anderen Ländern, liegt laut Müller zum einen an der deutschen Wiedervereinigung, die bislang mehr als 1,2 Billionen Euro gekostet habe. Die Last hätten die Steuerzahler getragen, in erster Linie die abhängig Beschäftigten, und nicht die Großkonzerne, die »nie etwas für die Wiedervereinigung getan haben«. Das Großkapital habe vielmehr »Steuern abgezockt« aus dem Aufbau Ost. Und es sei Nutznießer des zweiten großen Kostenfaktors: der Frühverrentung. Zu Lasten des Arbeitsamts und der Rentenkassen habe es »sich saniert« und die über 50-Jährigen aus den Betrieben gedrängt.

»Stütze für Konzerne«

»Nicht wir sind die Räuber und Schmarotzer am Sozialstaat«, sagte Siemens-Mitarbeiter Müller und nannte ein Beispiel von »Stütze für Konzerne«. Siemens habe mit Fördermitteln der Europäischen Union und des Landes Nordrhein-Westfalen im Ruhrgebiet eine hochmoderne Handyfabrik »quasi umsonst« gebaut. Nun, da das Projekt auslaufe, werde die Handyfertigung nach Ungarn verlagert, mit Subventionen vom ungarischen Staat, Steuerbefreiung bis 2011 und rund einem Drittel EU-Zuschuss.

Auch die Gewerkschaften seien für Reformen, sagte Müller, jedoch nicht allein für die obersten ein bis fünf Prozent, sondern für die Mehrheit der Bevölkerung. Diese müsse sich daran erinnern: »Wir sind das Volk!« Die Gewerkschaften seien in erster Linie eine Bewegung, sie dürften sich nicht auf die Parteien verlassen, sondern müssten selber handeln.

Reinhard Frankl prangerte als Sprecher der GEW Unterfranken und von attac Aschaffenburg eine Politik an, die im Namen der freien Marktwirtschaft »den Ausverkauf der gesamten öffentlichen Dienste« vorantreibe. Nicht der Wohlstand breite sich dadurch weltweit aus, sondern die »Verarmung und mangelnde Sicherheit von immer mehr Menschen«.

Der Kampf gegen den Neoliberalismus, insbesondere die »Kürzungsorgien« Stoibers, werde »ohne betriebliche Aktionen nicht zu führen sein«, meinte Frankl. Er forderte eine Besteuerung der Konzerne nach ihrer tatsächlichen Leistungsfähigkeit, die EU-weite Schließung von Steueroasen, »Arbeit für alle in Würde« statt Niedriglöhne, ein solidarisches Gesundheitssystem und einen Stopp der Ökonomisierung der Bildung.

Maria Greipl aus Miltenberg sprach für die Beschäftigten in der Textilen Dienstleistung. Die Mitarbeiter in Wäschereien und Reinigungen stünden mit einem Monatslohn von durchschnittlich 1370 Euro am untersten Ende der Einkommensskala. Nach den Vorstellungen der Arbeitgeber, die eine Nullrunde fordern, sollten sie nun »den billigen Jakob machen« - und das bei steigenden Preisen. In Nordrhein-Westfalen habe es am Freitag die ersten Warnstreiks gegeben, unter anderem für vier Prozent mehr Einkommen und Übernahme der Auszubildenden. Für 7. Mai ist eine Solidaritätskundgebung in Miltenberg geplant, kündigte Greipl an.

Melanie Pollinger