Gegen Ökonomisierung der Bildung
»Nur abrufbares Wissen ist zu wenig«
Podiumsdiskussion über die Folgen des Bildungsplans in Kindergärten
Aschaffenburg. Bildung hat's schwer - nicht nur am vergangenen Freitag, als der laue Sommerabend kaum zwei Handvoll Zuhörer in die Podiumsdiskussion zum bundesweiten »Tag der Bildung« lockte. In Bildungseinrichtungen, wie Kindergärten, sollen künftig marktwirtschaftliche Kriterien Einzug halten. Vor einer »Ökonomisierung der Bildung« warnte deshalb die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Aschaffenburg. »Bildung ist keine Ware«, sagte Kreisvorsitzender Albrecht Sylla.
»Bildung von Anfang an« lautete das Thema des Abends zur Rolle der Vorschulerziehung, den Sylla moderierte. Was genau »Bildung« meine, sei für den Kindergartenbereich bisher nicht einheitlich definiert worden, stellte SPD-Landtagsabgeordnete Karin Pranghofer fest.
»Umfassende Förderung«
Das ändert sich mit dem neuen Bildungsplan, der an bayerischen Tageseinrichtungen für Kinder bis sechs Jahren ab dem Kindergartenjahr 2003/04 zur Erprobung und ab dem Jahr 2005 verbindlich eingeführt werden soll.
Bildung, neben Betreuung und Erziehung ein zentraler Begriff in der Pädagogik, dürfe keinesfalls auf abrufbares Wissen reduziert werden, waren sich die Podiumsteilnehmer einig. Sie ziele auf umfassende Förderung aller Anlagen. Gerade die ersten Lebensjahre, so Günther Schedel-Geschwendtner vom sozialpädagogischen Büro der GEW, entschieden, welche Fähigkeiten sich aus den neurobiologischen Anlagen jedes Kindes entwickelten.
Bildung umfasse soziales, kreatives, wertorientiertes Lernen. Und: »Kinder müssen erkennen, dass es schön ist zu lernen«, sagte Peter Müller, stellvertretender Leiter der Aschaffenburger Fachakademie für Sozialpädagogik (FakS).
»Leistungsspirale nach unten«
Gefahren für bessere Bildung wurden in frühzeitiger Auslese und einer »Leistungsspirale nach unten« gesehen. »Kommen nach den Noten in der zweiten Klasse bald Erstklass- und schließlich Kindergarten-Noten, forciert von Eltern?«, fragte Prof. Wolfgang Magin, stellvertretender Landesvorsitzender des Bayerischen Elternverbandes. Eltern, so seine Beobachtung, nutzten jede sich bietende Gelegenheit, Kinder schon im Kindergarten auf das Abitur vorzubereiten.
Verschärfte Auslese, das Trimmen auf den Übertritt ließen immer mehr Schulversager entstehen, gab ein Hauptschullehrer zu bedenken. Da Bildung Teilhabe am gesellschaftlichen Leben bedeute, so eine Lehrerin aus dem Publikum, müssten über Bildungsinstitutionen vielmehr Defizite, etwa sprachlicher Art, ausgeglichen werden.
Kritik galt mangelnder Zusammenarbeit und Abstimmung zwischen den einzelnen Bildungseinrichtungen. Dünkel beherrsche hier das Feld. Keine Einigkeit wurde in der Frage erzielt, ob, auch im Rahmen EU-weiter Angleichung, die Erzieherausbildung besser an Fachhochschulen anzusiedeln sei. »Eine Hochschulausbildung ist keine Garantie für mehr Qualität«, sagte Pranghofer.
Nach einem Vorschlag der örtlichen FakS kann ein fachbezogenes Abitur nach einem Zugang mit Mittlerer Reife und zweijähriger sozialpädagogischer Ausbildung in Seminaren und Einrichtungen den Weg zum Studium öffnen. Berufliche Erfahrung wollte Schedel-Geschwendtner als zweite Zugangsmöglichkeit zur Hochschule offen halten. »Eine Fantomdiskussion, in Wirklichkeit geht es um bessere Bezahlung«, befand ein Zuhörer.
Ob der neue Bildungsplan all diese Faktoren berücksichtigt, ist offen. »Eine Vorlage im Landtag gab es noch nicht«, sagte Pranghofer. Bekannt ist jedoch, dass künftig marktorientiert nach »Buchungszeiten« der Eltern abgerechnet werden soll. »Wer mehr macht, soll auch mehr bekommen«, begrüßte Peter Müller das Modell. Für kontinuierliche Arbeit seien jedoch Kernzeiten nötig.
»Besserer Personalschlüssel«
Verhaltene Zustimmung signalisierte die SPD, befürchtete aber die Oberhand der Betriebswirtschaft vor der Pädagogik. Schon würden in Hessen Universitäten nach Zahl ihrer Studenten bezahlt, berichtete Magin. »Ein Träger wird das Personal einstellen, das er sich leisten kann«, vermutete auch Schedel-Geschwendtner.
Er verlangte einen besseren Personalschlüssel. Altersgemischte und integrative Betreuung behinderter oder ausländischer Kinder seien gesondert zu honorieren. Eine Finanzierung über Sockelleistungen sowie die staatliche Festschreibung von Standards könnten bei der Vielzahl der Träger für gesicherte Qualität sorgen.