Die sechs verpflichteten kompetenten Gäste vertraten jeweils zur Hälfte die von der Bayerischen Staatsregierung geplante Bildungsoffensive oder das Modell »Die bessere Schulreform«, das ab der kommenden Woche durch ein Volksbegehren unterstützt werden soll.
Als Moderator des Abends fungierte der evangelische Pfarrer von Alzenau, Hans-Jörg Schemann, der sich stets bemühte, durch strikte Neutralität die Diskussion, die emotional aufgeladen war, in ruhige Bahnen zu führen. Für die in Scharen gekommen Eltern, die nicht nur Stehplätze, sondern auch das letzte freie Fleckchen vor dem Saal in Kauf nahmen, dürfte der Abend nicht unbedingt eine Entscheidungshilfe gewesen sein. Zwar stellten alle Beteiligten die jeweiligen Vorteile ihres Modells, beziehungsweise die Nachteile des anderen, anschaulich dar, doch kam es immer wieder vor, dass Argumente, die wissenschaftliche Untersuchungen zu Grunde hatten, von der einen Seite angeführt wurden, um von der anderen durch eine weitere Studie entkräftet zu werden.
Konzepte vorgestellt
Zunächst konnten aber alle Diskussionsteilnehmer in der ersten Stunde Stellung zu dem von ihnen bevorzugten Konzept beziehen. Den Anfang machte Professor Dr. Wolfgang Magin, der stellvertretende Regionalvorsitzende des Bayerischen Elternverbands (BEV), der einzige Nichtpädagoge des Abends, der in Großostheim wohnt. »Die bessere Schulreform« bietet als Kernpunkt nach der Grundschule eine zweijährige Aufbaustufe an, während die von der Bayerischen Staatsregierung angestrebte Bildungsoffensive die sechsstufige Realschule vorsieht, die den Übertritt auf diese Schule bereits nach der vierten Klasse vorsieht und nicht wie bisher nach der sechsten.
Magin wies darauf hin, dass durch Einführung der Aufbaustufe der Noten- und Leistungsdruck aus den Grundschulen weggenommen wird. Nach Meinung des BEV ist es der »falsche Weg, Kinder nach der vierten Klasse in Schubladen einzusortieren«. Die Aufbaustufe ist nur für Schülerinnen und Schüler gedacht, die nicht eindeutig für das Gymnasium geeignet sind. Diese Kinder sollen hier gezielt gefördert werden.
Gabriele Joachim, die Leiterin der Edith-Stein-Realschule in Alzenau, stellte anschließend das Konzept der Bayerischen Staatsregierung vor. Das Ziel der Bildungsoffensive ist es nach ihrer Meinung, »die richtige Schule für die richtigen Kinder zu finden«. Die Kinder sollen mit der Einführung der sechsstufigen Realschule fit gemacht werden für die neuen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts.
Nach Einschätzung von Psychologen sollen nach dem zehnten Lebensjahr »Schüler mit ähnlichen Begabungsmustern in gemeinsamen Lerngruppen zusammen gefasst werden«. Darüber hinaus sollen die Übergangsmöglichkeiten in den Jahrgangsstufen 5 bis 7 so offen wie möglich gehalten werden. Durch Einführung der sechsstufigen Realschule entfiele der bisherige Umweg über das Gymnasium. Die Hauptschule erhält, so Gabriele Joachim weiter, ein neues Gesicht durch so genannte M-Zweige und Praxisklassen, während die Qualität des Realschulabschlusses durch eine zweite Fremdsprache aufgewertet wird.
Ungeeignete Schüler entfernen
Der regionale Bezirksvorsitzende des Bayerischen Lehrerinnen- und Lehrerverbandes (BLLV), Walter Roth, ist Schulleiter in Goldbach. Er bezeichnete die bayerische Schulreform, die eine Idee des Philologenverbandes ist, als Weg, »ungeeignete Schüler aus den Gymnasien zu entfernen«. Seiner Ansicht nach müsste das Gymnasium in seiner Schulform verändert werden (»von 100 kommen nur 50 zum Abitur was läuft da schief?«). Die Probleme der Hauptschule, die ein schlechtes Ansehen hat, versuche man nun zu lösen, wo die Angebote wohl gar nicht mehr greifen können. Im Konzept der besseren Schulreform erhält die Hauptschule den Namen Haupt- und Mittelschule, um schon hier deutlich zu machen, dass ein mittlerer Schulabschluss erreicht werden kann.
Der Bezirksvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Albrecht Sylla, der an der Förderschule Hösbach als Lehrer tätig ist, brachte vor, dass das Volksbegehren deshalb vorgelegt worden ist, weil das bayerische Schulsystem eben nicht an der Spitze steht. »Die bayrische Staatsregierung setzt mit ihrer Bildungsreform auf Förderung von Eliten«, fuhr Sylla fort, und dabei gibt es seiner Meinung nach in Bayern »eindeutig eine Bildungsarmut«.
Außerdem führte der Referent aus, dass es in fast allen anderen europäischen Ländern eine gemeinsame Schulzeit von sechs bis acht Jahren gibt. »Auch unsere Kinder brauchen mehr Zeit, um sich zu entscheiden«, fuhr Albrecht Sylla fort und betonte abschließend: »Wir brauchen Förderung anstelle von Auslese und mehr Mitbestimmung von Eltern!«
Für drei mögliche Wege
Der Leiter des Alzenauer Spessart-Gymnasiums, Oberstudiendirektor Gebhard Hepp, führte an, dass es in anderen Bundesländern, wie beispielsweise Hessen, schon lange eine sechsstufige Realschule gibt, die gut aufgenommen worden ist. »Als Vater wäre ich froh, wenn nach der Grundschule drei Wege angeboten würden«, meinte Hepp und bemerkte, dass der Auslesedruck nicht größer, sondern kleiner werde durch die sechsstufige Realschule, weil Kinder mit mittleren Leistungen (bis Notendurchschnitt 2,66) nicht noch zwei Jahre an der Hauptschule bleiben müssen, sondern ohne Probeunterricht an die Realschule dürfen. Spätentwickler könnten, so Hepp, die Schulart nach der fünften Klasse leichter wechseln als bisher.
Die Aufbaustufe der besseren Schulreform sah Hepp als »verkappte Orientierungsstufe« an und warnte die Anwesenden: »Glauben Sie nicht, dass man nach der sechsten Klasse der Aufbaustufe problemlos ans Gymnasium wechseln kann!« Außerdem fiele der Übertritt nach der sechsten Klasse mitten in die Pubertät.
Sechster und letzter Teilnehmer der Expertenrunde war Frank Sommer vom Philologenverband. Er unterrichtet am Spessart-Gymnasium. Er gab unter anderem zu Bedenken, dass die bayrische Bildungsreform den Anforderungen der bayerischen Wirtschaft, der Industrie- und Handelskammer sowie der Handwerkskammer entspricht.
Anschließend wurden alle Referenten eine gute Stunde lang mit Fragen aus dem Publikum konfrontiert, die immer wieder zeigten, dass hier Emotionen hohe Wellen schlagen, weil die Einschätzungen, was zum Wohle der Buben und Mädchen ist, auseinander driften.
Oft nicht genug Schüler
Zu der Einführung so genannter M-Klassen wusste Professor Wolfgang Magin aus Großostheim zu berichten, dass der 15000 Einwohner starke Ort nicht in der Lage ist, einen M-Zug einzurichten, weil nicht genügend Schüler da sind. Auf die Frage, wie der Notendurchschnitt bei der Aufbaustufe aussehen wird, berichtete er, dass das Konzept hier zu erst in groben Zügen steht. Im ersten halben Jahr wird eine Sondierungsphase anstehen. Mit Beginn des zweiten Halbjahres werden die Kinder in Lernkurse aufgeteilt, die variabel zu wechseln sind. Eine intensive Orientierung soll im zweiten Halbjahr der sechsten Klasse stattfinden.
Gabriele Joachim bemerkte zu diesem Modell, dass der Leistungsdruck, der nun in der vierten Klasse besteht, dort in der fünften ausbricht. Ein Zuhörer fragte, was man den Eltern sage, die ihr Kind ganz bewusst schon jetzt auf eine sechsstufige Realschule geschickt haben (zu den 100 bereits bestehenden Realschulen dieses Modells kommen im September noch einmal vierzig hinzu). Magin wies das Publikum darauf hin, dass die bayrische Staatsregierung einen Schulversuch, der noch gar nicht abgeschlossen ist, im Hopplahopp-Verfahren durchbringen will.
Albrecht Sylla betonte, dass alle Schüler, die jetzt eine sechsstufige Realschule besuchen, diese auch nach erfolgreichem Volksbegehren abschließen werden. Zum Schluss machte Magin darauf aufmerksam, dass die Unterschriftenlisten zum Volksbegehren »Die bessere Schulreform« vom 15. bis 28. Februar in den Rathäusern ausliegen und forderte die Anwesenden auf, sich dort einzutragen.
Rektorin Gabriele Joachim gab bekannt, dass die Alzenauer Edith-Stein-Realschule ab dem Schuljahr 2001/2002 sechsstufig wird, wenn sich das Volksbegehren nicht durchsetzt.