MAIN-ECHO

Samstag, 16.12.2000

Mittel gegen Rechtsextremismus:
Den Menschen soziale Sicherheit geben

Professor Kühnl, Politologe an der Uni Marburg, bei den Aschaffenburger Metallern

Aschaffenburg. Die Sicherung des Sozialstaats und die Eindämmung des Konkurrenzkampfes als Wesen des Kapitalismus empfahl Professor Reinhard Kühnl als wichtige Mittel gegen den Rechtsextremismus. In einer Rede vor der Delegiertenversammlung der IG Metall Aschaffenburg warnte er, durch Schlagworte ein Klima zu schaffen, in dem sich rechte Schläger bestätigt fühlen könnten.

Die Menschen hätten eine »riesengroße Sehnsucht nach sozialer Sicherheit«, meinte der Politologe der Universität Marburg am Donnerstagabend im Aschaffenburger DGB-Haus. Dem stehe aber der Kapitalismus mit dem Konkurrenzkampf als ökonomischem Motor entgegen. Der eigentliche Sinn dieser Ideologie sei, dass sich der Stärkere durchsetze, der Schwächere auf der Strecke bleibe. Dieser Konkurrenzkampf ziele derzeit auf alle Elemente der sozialen Sicherung. »Die Verlierer sehen sich bedroht.«

Enttäuschte Hoffnungen

Heute sähen sich viele Bürger solchen Bedrohungsängsten ausgesetzt. Kühnl zitierte Untersuchungen über Äußerungen Jugendlicher in Ostdeutschland. Vor zehn Jahren hätten 94 Prozent an eine sichere soziale Zukunft in diesem Staat geglaubt, jetzt nur noch 15 Prozent. »So viele enttäuschte Hoffnungen auf ein Leben in Sicherheit und Würde, so viel zerstörtes Selbstwertgefühl.«

Auf diese Art der Bedrohung gebe es zwei mögliche Antworten. Zum einen könne man, wie die Gewerkschaften seit vielen Jahrzehnten, für die Sicherung der sozialen Existenz kämpfen. »Das ist die Form der kollektiven Gegenwehr.« Wer den Anschluss an diese Bewegung verpasse, suche eine andere Antwort. Er versuche, alles zu tun, um nicht zu den Verlierern zu gehören, rücksichtslos, unter Einsatz der Ellenbogen, egoistisch und auch auf Brutalität nicht verzichtend.

Hier setze die Ideologie der politischen Rechten ein. Sie behaupteten, die große Gemeinschaft, in der sich alle wohlfühlen, sei bereits geschaffen. Es sei die Nation. Diese »Schicksalsgemeinschaft« sei nun bedroht und müsse daher zur »Kampfgemeinschaft« werden. »In dieser Logik müssen dann störende Elemente rechtzeitig ausgeschaltet werden.«

Reizworte

Kühnl verwies auch auf Reizworte, die von Konservativen und Medien immer wieder in die Debatte geworfen würden (»Die Ausländer belasten unseren Arbeitsmarkt«). Natürlich seien das vordergründig keine faschistischen Hetzparolen, aber die Zielgruppe übersetze das so. »Dann fragen die, was der Staat eigentlich dagegen tut, und stellen fest, dass sie selbst etwas unternehmen müssten.« Es gebe viele Signale, dass für die sozialen Probleme »Lösungen in Richtung rechts angeboten werden: Nationalismus, Rassismus, Imperialismus.«

Für den Politologen steht fest, dass es einen kapitalistisch motivierten Konkurrenzkampf auch »im Großen« zwischen Staaten gebe. Daraus entstünden dann imperialistisch motivierte Kriege. Auf längere Sicht lägen hier sogar noch größere Gefahren als in der Ideologisierung. »Der Krieg wird als Lösung aller sozialer Probleme angeboten.«

Kühnl zeigte sich überzeugt, dass die herrschende politische Klasse in der Bundesrepublik diesen Weg heute wieder anstreben würde. Er sei zutiefst erschrocken gewesen, als der damalige Bundespräsident Roman Herzog es als Aufgabe des Militärs bezeichnet habe, den Wohlstand zu sichern. »Das ist das klassische Versprechen des Imperialismus.«

Die Gewerkschaften forderte Kühnl auf, sich wieder als »Hoffnungsträger« anzubieten. Viele der heute im rechten Milieu agierenden Personen seien keine hoffnungslosen Faschisten, sondern »Suchende«. Durch die Wiederherstellung einer sozialen Politik müsse die Logik des Konkurrenzkampfes eingedämmt werden. »Wenn wir den Abbau des Sozialstaats stoppen, dann stoppen wir die Agitation der Rechten.« Kühnl appellierte an die Verantwortung jedes Einzelnen für eine menschliche Atmosphäre, egal ob im Bus Alte, Behinderte und Ausländer angepöbelt würden, oder auch, wenn sich »Deutschland wieder an einem verfassungswidrigen Angriffskrieg« beteiligt.

»Rote Karten« für Riester

Auf ihrer Delegiertenversammlung hatte die IG Metall zuvor beschlossen, den Kampf gegen die Rentenreform von Bundesarbeitsminister Walter Riester fortzusetzen. Ursprünglich sollten Riester noch vor Weihnachten die »Roten Karten« aus der Protestaktion der IG Metallüberreicht werden. Allerdings gibt es in Berlin derzeit keinen Termin mehr.

Nun werden die Kartons in der kommenden Woche den Untermain-Bundestagsabgeordneten Christine Scheel (Grüne) und Heidi Wright (SPD) überreicht, »weil die ja mit verantwortlich sind für das, was die Regierung beschließen will«.  klg