Die
Sicherung des Sozialstaats und die Eindämmung des Konkurrenzkampfes als
Wesen des Kapitalismus empfahl Professor Reinhard Kühnl als wichtige
Mittel gegen den Rechtsextremismus. In einer Rede vor der
Delegiertenversammlung der IG Metall Aschaffenburg warnte er, durch
Schlagworte ein Klima zu schaffen, in dem sich rechte Schläger bestätigt
fühlen könnten.
Die Menschen hätten eine »riesengroße Sehnsucht
nach sozialer Sicherheit«, meinte der Politologe der Universität
Marburg am Donnerstagabend im Aschaffenburger DGB-Haus. Dem stehe aber
der Kapitalismus mit dem Konkurrenzkampf als ökonomischem Motor
entgegen. Der eigentliche Sinn dieser Ideologie sei, dass sich der Stärkere
durchsetze, der Schwächere auf der Strecke bleibe. Dieser
Konkurrenzkampf ziele derzeit auf alle Elemente der sozialen Sicherung.
»Die Verlierer sehen sich bedroht.«
Enttäuschte Hoffnungen
Heute sähen sich viele Bürger solchen Bedrohungsängsten
ausgesetzt. Kühnl zitierte Untersuchungen über Äußerungen
Jugendlicher in Ostdeutschland. Vor zehn Jahren hätten 94 Prozent an
eine sichere soziale Zukunft in diesem Staat geglaubt, jetzt nur noch 15
Prozent. »So viele enttäuschte Hoffnungen auf ein Leben in Sicherheit
und Würde, so viel zerstörtes Selbstwertgefühl.«
Auf diese Art der Bedrohung gebe es zwei mögliche
Antworten. Zum einen könne man, wie die Gewerkschaften seit vielen
Jahrzehnten, für die Sicherung der sozialen Existenz kämpfen. »Das
ist die Form der kollektiven Gegenwehr.« Wer den Anschluss an diese
Bewegung verpasse, suche eine andere Antwort. Er versuche, alles zu tun,
um nicht zu den Verlierern zu gehören, rücksichtslos, unter Einsatz
der Ellenbogen, egoistisch und auch auf Brutalität nicht verzichtend.
Hier setze die Ideologie der politischen Rechten
ein. Sie behaupteten, die große Gemeinschaft, in der sich alle wohlfühlen,
sei bereits geschaffen. Es sei die Nation. Diese »Schicksalsgemeinschaft«
sei nun bedroht und müsse daher zur »Kampfgemeinschaft« werden. »In
dieser Logik müssen dann störende Elemente rechtzeitig ausgeschaltet
werden.«
Reizworte
Kühnl verwies auch auf Reizworte, die von
Konservativen und Medien immer wieder in die Debatte geworfen würden (»Die
Ausländer belasten unseren Arbeitsmarkt«). Natürlich seien das
vordergründig keine faschistischen Hetzparolen, aber die Zielgruppe übersetze
das so. »Dann fragen die, was der Staat eigentlich dagegen tut, und
stellen fest, dass sie selbst etwas unternehmen müssten.« Es gebe
viele Signale, dass für die sozialen Probleme »Lösungen in Richtung
rechts angeboten werden: Nationalismus, Rassismus, Imperialismus.«
Für den Politologen steht fest, dass es einen
kapitalistisch motivierten Konkurrenzkampf auch »im Großen« zwischen
Staaten gebe. Daraus entstünden dann imperialistisch motivierte Kriege.
Auf längere Sicht lägen hier sogar noch größere Gefahren als in der
Ideologisierung. »Der Krieg wird als Lösung aller sozialer Probleme
angeboten.«
Kühnl zeigte sich überzeugt, dass die
herrschende politische Klasse in der Bundesrepublik diesen Weg heute
wieder anstreben würde. Er sei zutiefst erschrocken gewesen, als der
damalige Bundespräsident Roman Herzog es als Aufgabe des Militärs
bezeichnet habe, den Wohlstand zu sichern. »Das ist das klassische
Versprechen des Imperialismus.«
Die Gewerkschaften forderte Kühnl auf, sich
wieder als »Hoffnungsträger« anzubieten. Viele der heute im rechten
Milieu agierenden Personen seien keine hoffnungslosen Faschisten,
sondern »Suchende«. Durch die Wiederherstellung einer sozialen Politik
müsse die Logik des Konkurrenzkampfes eingedämmt werden. »Wenn wir
den Abbau des Sozialstaats stoppen, dann stoppen wir die Agitation der
Rechten.« Kühnl appellierte an die Verantwortung jedes Einzelnen für
eine menschliche Atmosphäre, egal ob im Bus Alte, Behinderte und Ausländer
angepöbelt würden, oder auch, wenn sich »Deutschland wieder an einem
verfassungswidrigen Angriffskrieg« beteiligt.
»Rote Karten« für Riester
Auf ihrer Delegiertenversammlung hatte die IG
Metall zuvor beschlossen, den Kampf gegen die Rentenreform von
Bundesarbeitsminister Walter Riester fortzusetzen. Ursprünglich sollten
Riester noch vor Weihnachten die »Roten Karten« aus der Protestaktion
der IG Metallüberreicht werden. Allerdings gibt es in Berlin derzeit
keinen Termin mehr.
Nun werden die Kartons in der kommenden Woche den
Untermain-Bundestagsabgeordneten Christine Scheel (Grüne) und Heidi
Wright (SPD) überreicht, »weil die ja mit verantwortlich sind für
das, was die Regierung beschließen will«. klg