Fördert
IslamUnterricht an öffentlichen Schulen die Integration muslimischer
Kinder? Verbessert er die Akzeptanz fremder Kulturen unter den
Deutschen? Oder ist Religion Privatsache, aus der sich der Staat gänzlich
heraus halten sollte? Der Informationsabend zum »Streitfall
Islam-Unterricht« am Donnerstag im Aschaffenburger DGB-Haus warf viele
Fragen auf. Die Ideallösung wurde erwartungsgemäß nicht gefunden, der
Blick auf einösterreichisches Modell mag die Sicht jedoch geschärft
haben.
Ein »Provisorium auf Dauer« wird der Islam im Westen sein, betonten
die beiden Hauptreferenten, der Religionssoziologe Professor Dr.
Friedhelm Kröll und die Ethnologin und Soziologin Afsaneh Gächter aus
Wien. Sie hatten dort im Auftrag des österreichischen
Wissenschaftsministeriums 61 Lehrer, Eltern, Verwaltungsleute und
Politiker zum Thema Islam-Unterricht befragt.
Fremdes als fremd respektieren
Denn in Österreich, als einzigem Land in Europa, erhalten
muslimische Kinder seit 1983 zwei Pflichtwochenstunden
Religionsunterricht am Nachmittag. Dabei unterrichten 50 Religionslehrer
35 000 muslimische Schulkinder in Wien, 150 sind es im ganzen Land.
Lehrer und Lehrmittel zahlt der Staat, die Unterrichtssprache ist
deutsch. Lehrinhalte dagegen sind, im Rahmen der Verfassung, Sache der
»Islamischen Glaubensgemeinschaft«, einer Körperschaft des öffentlichen
Rechts. Österreichs politische Parteien tragen laut Kröll den
Unterricht mit, und sei es, wie die ÖVP, um ihn im Sichtfeld des Staats
zu belassen und Kinder nicht in die »Kellermoscheen« zu treiben. Ob
dieses Modell auch für Bayern tauge (hier erhalten ausschließlich türkische
Kinder der Klassen 1 bis 5 eine islamische Unterweisung in türkischer
Sprache), ob es gar die »Fremdenfähigkeit« stärken könne, hatte
eingangs Albrecht Sylla gefragt. Der Bezirksvorsitzende der Gewerkschaft
Erziehung und Wissenschaft und örtliche Vorsitzende des
Freidenker-Verbands vertrat in Doppelfunktion gleich zwei der drei
einladenden Organisationen. Die dritte, den Bildungsverein Schule und
Erziehung, repräsentierte Martin Braun.
»Alle Integration zielt auf Assimilation«, sagte Kröll. Fremdenfähigkeit
dagegen heiße, Fremdes als fremd zu respektieren. Er wollte den
Muslimen das »Recht auf Diaspora« zugestanden wissen, denn andere
Kulturen seien der westlichen ebenbürtig. »Die Majorität bestimmt die
Rahmenbedingungen und trägt folglich die Verantwortung«, stellte auch
Gächter fest.
Mal zu lax, mal zu wenig aufgeklärt
Während die Referenten in ihrer Untersuchung auf österreichischer
Seite geringes Wissen und die Tendenz zu pauschalen »dämonisierenden«
Urteilen ausmachten, sahen Muslime Schwierigkeiten in Sprachproblemen,
nationalen Differenzen – von Singapur, Malaysien und Afghanistan bis
zur Türkei sind viele Länder vertreten – und unterschiedlichen
Glaubensausrichtungen.
Eltern und Lehrer betrachteten den Religionsunterricht vielfach als
»Halt in der Fremde«, führte Gächter aus. Aus religiöser Sicht
werde er wahlweise als »zu lax« oder »zu wenig aufgeklärt«
kritisiert, so dass Eltern ergänzend oder alternativ auf
Privatunterricht in Koranschulen zurückgriffen. Die Lehrkräfte selbst,
»wahre Tausendsassas«, fühlten sich isoliert und am Rande stehend,
vor allem wenn sie, wie die Lehrerinnen, ein Kopftuch trügen.
An »Kopftüchern« hakte sich nach einer ganzen Reihe von Sachfragen
vorübergehend auch die Diskussion fest, wobei das Stück Stoff entweder
als Symbol für kulturelle Identität, für eine religiöse Richtung
oder für Unterdrückung gehandelt wurde. Ein Hauptschullehrer hatte
beklagt, dass ein Teil der türkischen Mädchen, auch aus
aufgeschlossenem Elternhaus, mit dem Kopftuch eine verschüchterte
Haltung überstreife. Ein (türkischer) Vater stellte fest, dass langjährige,
nunmehr Kopftuch tragende Freundinnen seiner Tochter sich mit
beginnender Pubertät immer mehr zurück zögen.
Eine Lehrerin vermutete, Mädchen aus traditionalistischem Elternhaus
bliebe wohl keine Wahl, und mit Demokratie hätte das nichts zu tun. »Wir
alle sind Produkt unserer Familie«, hielt Afsaneh Gächter entgegen.
Bedenken quer durch die Nationalitäten, ob nicht in Koranschulen
fundamentalistischer Muslime Religion als Deckmantel für Demokratie-
und Menschenfeindlichkeit benutzt würde, blieben bestehen.
»Ich kann nicht von der Aufnahmegesellschaft Akzeptanz erwarten und
meine Kinder christenfeindlich erziehen«, sagte der Sozialarbeiter
Sabri Akan. Obwohl Professor Kröll warnte »Privatisierung hat noch nie
etwas verbessert«, wollte die Mehrheit der Anwesenden im Prinzip
Religionsunterricht als Privatsache aus öffentlichen Schulen verbannt
sehen.
Viele offene Fragen
Bis dahin jedoch sei Islam-Unterricht an öffentlichen Schulen
besser, als das Feld den Koranschulen zuüberlassen. Der Lehrer Gönen
Cibikci, der auch für die Föderation türkischer Elternvereine sprach,
stellte einen Katalog zur künftigen Gestaltung des Islam-Unterrichts
vor. Dieser solle freiwillig erfolgen, auf demokratischen Prinzipien
basieren und sich an den Lebensbedingungen der Schüler orientieren.
Inhalt und Methoden festzulegen sei Sache einer Kommission aus Eltern,
Lehrern, Schulbehörden und Islamkundigen.
Lange noch wurden in Grüppchen offene Fragen diskutiert.
luhi