Kreis Aschaffenburg. Seit 18 Jahren arbeiten sie deutsche Geschichte während des Nationalsozialismus auf:
Die Filmgruppe der Oskar-von-Miller-Realschule in Rothenburg ob der Tauber begann 1982 mit Projektleiter Thilo Pohle einen Video-Film über das Schicksal des kleinen Dorfes
Brettheim am Ende des Zweiten Weltkrieges.
Auf Einladung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Kreisverband Aschaffenburg/Miltenberg, stellte Pohle bei einer öffentlichen Veranstaltung die neueste Fassung des Filmes mit dem Titel »... als der Frieden so nah war« und eine begleitende Ausstellung dazu vor: Für Brettheim ist der 7. April 1945 ein Schicksalsdatum. An diesem Tag wird das in der Nähe von Rothenburg gelegene Dorf in einen furchtbaren Sog der Ereignisse am Ende des Zweiten Weltkrieges gerissen.
Seit Tagen liegt die US-Armee wenige Kilometer vor dem Ort in Stellung, als vier mit Panzerfäusten und Maschinengewehren bewaffnete Hitlerjungen im Dorf Rast machen. Ihr Auftrag lautet: »Panzeraufklärung betreiben, Panzerannäherungen melden und bekämpfen«. Brettheimer Dorfbewohner bemerken die vier Jungen und erkennen die Gefahr, die ihrem Dorf durch einen möglichen Angriff der vier Jungen auf die amerikanischen Panzer droht. Entschlossen entwaffnen mehrere Männer die Hitlerjungen, vertreiben sie und versenken die Waffen in einem Löschteich. Wenige Stunden später nimmt die SS, die von dem Unteroffizier der Hitlerjungen verständigt worden war, die Ermittlungen und Verhöre in dem Dorf auf.
Einer der Männer, die an der Entwaffnung der Hiflerjungen beteiligt gewesen waren, nämlich der Bauer Friedrich Hanselmann, meldet sich freiwillig und wird sofort zum Tod verurteilt.
Als dem NSDAP-Ortsgruppenleiter von Brettheim, dem Lehrer Leonhard Wolfmeyer, und dem Bürgermeister des Dorfes, Leonhard Gackstatter, das Todesurteil zur Bestätigung vorgelegt wird, verweigern beide ihre Unterschrift und versuchen Hanselmann zu verteidigen. Darauf werden auch Wolfmeyer und Gackstatter verhaftet und zwei Tage später ebenfalls zum Tod verurteilt. Alle drei Männer werden am 10. April vor dem Brettheimer Friedhof an zwei Linden erhängt. Ihre Leichen dürfen erst nach vier Tagen von den Bäumen genommen werden. Eine Woche später rücken amerikanische Panzer auf das Dorf vor. Nachdem die SS das Feuer auf die nahenden Truppen eröffnet, fordern die Amerikaner Flugzeuge an, die den Ort bombardieren. Im Verlauf des Tages wird Brettheim zerstört, teilweise auch durch Artilleriebeschuss deutscher Truppen.
Der Dokumentarfilm der Rothenburger Schüler und Schülerinnen gibt die Erinnerungen von Augenzeugen an die furchtbaren Ereignisse der letzten Kriegstage wider. Sie wurden von der Filmgruppe in jahrelanger, rücksichtsvoller und sensibler Weise mit der Kamera festgehalten, gesammelt und in verschiedenen Filmversionen - eine sogar in englischer, eine andere in russischer Sprache - zusammengestellt. Die Reaktion der Brettheimer Bevölkerung auf die filmische Dokumentation ihrer Geschichte war überwältigend und ermutigte Pohle und seine Schüler zur Arbeit an weiteren Filmen, einer beispielsweise auch über Willi Graf, Mitglied der bekannten Widerstandsgruppe »Weiße Rose«.
»Die Schüler arbeiteten mit einem fast unglaublichen Engagement in ihrer Freizeit, an Wochenenden und sogar in den Ferien«, schilderte Pohle die Arbeit der Filmgruppe. Inzwischen hat diese schon etliche »Schülergenerationen« erlebt.
Vorführungen gab es inzwischen schon vor Zehntausenden von Zuschauern nicht nur in Deutschland, sondern unter anderem in Genf, Wien, Mailand, Barcelona, Moskau, San Francisco, Montreal und Toronto. Pohle: »Wir machen jedoch die besten Erfahrungen vor allem in kleineren Ortschaften, da diese sich mit der Geschichte von Brettheim am besten identifizieren können, möglicherweise sogar ähnliche Erfahrungen im Krieg machen mussten.« In der Diskussion zeigten sich die Zuschauer betroffen und beeindruckt von Film und Pohles Schilderungen.
GEW-Pressesprecher Martin Hahn: »Es ist zu wünschen, dass dieser Film möglichst viele Menschen erreicht und zur ehrlichen Auseinandersetzung mit einem furchtbaren Kapitel der deutschen Vergangenheit führt. Und es ist zu hoffen, dass dieses Beispiel der engagierten Rothenburger Schüler viel Nachahmung findet.«
ME, 5.7.2000, S.21