Leserbrief zu "Positionen der bayerischen Regierung zur Schulreform offensiv vertreten"
(Main-Echo, 28.01.2000)
Es ist eigentlich erschreckend. Der Leiter der Schulabteilung bei der Regierung von Unterfranken, Jürgen Röhling, erinnert die Lehrer daran, dass sie "durch ihren Amtseid dazu verpflichtet sind, das zu tun, was ihnen von ihrem Vorgesetzten aufgetragen ist" und dazu gehöre, die Schulpolitik der bayerischen Staatsregierung etwa im Gespräch mit Eltern "offensiv" zu vertreten. Was sich hier offenbart, ist ein völlig undemokratisches, obrigkeitsstaatliches Denken.
Sicher ist ein Lehrer zur gewissenhaften Durchführung seiner Dienstaufgaben verpflichtet. Doch die Zeiten sind vorbei, als die Lehrerschaft genau nach der Pfeife ihres Fürsten oder Führers zu tanzen hatte und eine eigene Meinung verboten und strafbar war. Wenn ein Lehrer heute eine eigene, dem Kultusministerium entgegenstehende Auffassung zur praktizierten Schulpolitik hat, dann kann ihn weder ein Leiter einer Schulabteilung noch eine Kultusministerin dazu verpflichten, deren Vorstellungen gegen seine Überzeugung offensiv zu vertreten. Natürlich weiß das auch Herr Röhling. Wenn er trotzdem die bedingungslose Unterwerfung unter die Politik der Staatsregierung verlangt, dann will er Angst erzeugen um Kritik zu unterbinden.
Das Prinzip der politischen Neutralität an Schulen hat seine gute Berechtigung. Im konkreten Fall der aktuellen Auseinandersetzung um bayerische Schulpolitik wird dieses Prinzip jedoch pervertiert: die Positionen der Staatsregierung finden in einer Materialflut an die Schulen und an die Eltern ihre breite und bunte Darstellung, gegensätzliche Positionen werden schon im Ansatz unterdrückt und verfolgt. Wie schwach ist da wohl die eigene Position und wie armselig das demokratische Verständnis?
War es wirklich eine rein zufällige Verbindung der Main-Echo-Redaktion? Der Leser konnte direkt über dem Bericht zu den Maulkorb-Äußerungen der Regierung ein eigentlich nicht zu dem Bericht gehörendes Foto sehen, auf dem der Leiter des Würzburger Lehrstuhls für Schulpädagogik Professor Müller ein Schulwandbild mit dem strengen Erziehungsideal der Wilhelminischen Ära zeigt. – Genau diese Zeit scheint noch in den Köpfen vieler Kultusbürokraten zu bestehen.
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