Frankfurter
Rundschau

20.5.1999

Die GEW wird im Ver.di-Chor nicht mitsingen

Linke Organisation entscheidet sich für die Eigenständigkeit und will zur führenden Bildungsgewerkschaft werden

Von Thomas Maron (Würzburg)

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) wird sich nicht an der von den Einzelgewerkschaften DPG, DAG, ÖTV, IG Medien und HBV geplanten Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di beteiligen.

Das Ergebnis war knapp. Und weil nach hitziger Debatte auch noch zweimal falsch ausgezählt wurde, mußte auf dem außerordentlichen Gewerkschaftstag der GEW in Würzburg im Hammelsprung-Verfahren über die Zukunft der linken Organisation entschieden werden. Rechte Tür: für Eigenständigkeit; mittlere Tür: für Zusammenarbeit mit den anderen Gewerkschaften; linke Tür: Enthaltung. Die Schlange vor dem rechten Ausgang war die längste: 58 Prozent der Delegierten stimmten für Eigenständigkeit und damit gegen einen Antrag des Landesverbandes Bayern, die Gespräche mit den an Ver.di beteiligten Gewerkschaften wieder aufzunehmen. Die 281 000 Mitglieder zählende GEW will statt dessen künftig versuchen, sich als führende Bildungsgewerkschaft und nicht als reine Lehrervertretung zu profilieren. Kritiker in Reihen der GEW fürchten dagegen eine Konkurrenzsituation mit der übermächtigen neuen Gewerkschaft. Außerdem glauben sie nicht, daß die Gewerkschaft in ländlich oder kleinstädtisch geprägten Gebieten ein attraktives Angebot für die Beschäftigten aller Bildungsbereiche anbieten kann.

Den Bedenken gab ÖTV-Chef Herbert Mai neue Nahrung. Er hatte den Delegierten klar zu verstehen gegeben, daß es ohne die Ver.di-Kooperation zu einem konkurrierenden Werben um Mitglieder kommen würde, auch "wenn damit keinem geholfen wäre". Sollte die GEW eigenständig bleiben, so Mai, müßte zumindest ausgehandelt werden, welche Bildungsbereiche von welcher Gewerkschaft übernommen werden. Eine solche Einengung der eigenen Aufgabenbereiche will der Hauptvorstand der GEW aber gerade vermeiden. Es sei sonst zu befürchten, daß die Gewerkschaft zur tarifpolitisch bedeutungslosen Interessensvertretung für Lehrer verkommt.

Um künftig mithalten zu können, willdie GEW nun vor allem im außerschulischen Bereich Werbung in eigener Sache machen. Erzieherinnen, Hochschüler, Jugendhelfer und Pädagogen in der Weiterbildung müßten verstärkt ihre gewerkschaftliche Heimat in der GEW finden, forderte die Vorsitzende Eva-Maria Stange. Sie wertete das knappe Votum als Beweis dafür, daß die Mitglieder genau wie sie eine fundamentale Neustrukturierung der GEW für überlebenswichtig halten. Stange hatte sich gemeinsam mit dem Hauptvorstand letztlich ebenfalls für die Eigenständigkeit der GEW entschieden.

Für Heidrun Breyer, Vorsitzende in Mecklenburg-Vorpommern, ist die Vorstellung, unabhängig agieren zu können, eine Illusion. Schon jetzt müsse die GEW in tarifpolitischen Fragen häufig mit der 1,5 Millionen Mitglieder starken ÖTV kooperieren: "Wir sind auf die Zusammenarbeit angewiesen." Während GEW-Chefin Stange hofft, jetzt unbelastet von lähmendem Grundsatzstreit eine umfassende Strukturreform durchziehen zu können, ist für Breyer noch kein Ende der Debatte in Sicht. Sie geht davon aus, daß trotz des Beschlusses die Diskussion über eine Zusammenarbeit mit Ver.di zumindest in ihrem Verband weitergehen werde: "Das Thema ist bei uns noch lange nicht vom Tisch."

GEW warnt vor Rechtswende

WÜRZBURG (dpa). Die GEW hat die Länder vor einer konservativen Wende in der Schulpolitik gewarnt. In Würzburg sagte die Vorsitzende Stange, eine Rückkehr zum Gymnasium der 60er Jahre mit überholtem Fächerkanon oder gar der flächendeckenden Einführung eines Zentralabiturs werde sich die GEW "mit aller Kraft in den Weg stellen". Anlaß der Warnung ist unter anderem die Absicht der Kultusministerkonferenz, beim nächsten Treffen Ende Mai Bayern und Baden- Württemberg eine deutliche Verschärfung der Abituranforderungen zuzubilligen.

 

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Dokument erstellt am 19.05.1999 um 20.45 Uhr
Erscheinungsdatum 20.05.1999