Ausstellung über den jüdischen Friedhof Rödelsee im Rathaus / Familienschicksale as. ASCHAFFENBURG. Eine Zeile aus einem Gedicht Allen Ginsbergs steht als Motto über einer Ausstellung, die aus Anlaß des 60. Jahrestages der Pogromnacht vorgestern abend im Lichthof des Aschaffenburger Rathauses eröffnet wurde: Nichts mehr zu sagen und nichts zu beweinen ist das Leitmotiv der Dokumentation über den jüdischen Friedhof Rödelsee bei Würzburg. Kernstück der Ausstellung sind acht Grabsteine (die Zahl acht bedeutet in der jüdischen Mystik unendlich), die als fotografische Reproduktionen in Originalgröße in der Mitte des Ausstellungsraumes stehen. Doch nur vordergründig geht es um die Steine. Letztlich stehen die Menschen im Mittelpunkt. Der Fotograf und Ausstellungsdesigner Christian Reuther und der Historiker Michael Schneeberger haben die Familiengeschichten der Verstorbenen recherchiert und bis in die jüngste Generation nachgezeichnet. Das Leben und das Sterben der verschollenen, verfolgten, in die Emigration getriebenen oder ermordeten Menschen zeigt exemplarisch auch die Geschichte dieses Jahrhunderts.
Der Vater im
Arbeitslager Reinhard
Frankl von der GEW nennt ein ganz persönliches Motiv für
sein Engagement. Sein Vater war als Halbjude gezwungen
worden, während des Zweiten Weltkrieges Dienst im
Zwangsarbeitslager zu leisten. Frankl erinnert sich, daß der
Vater noch Ende der fünfziger Jahre in seinem Lebenslauf
jene Zeit folgendermaßen beschrieb: Er sei vorübergehend
in Aschaffenburg abwesend gewesen, weil er Aufgaben mit
besonderer politischer Bedeutung wahrgenommen habe. Nicht nur
um diese Form der Verdrängung geht es Frankl. Er möchte
erreichen, daß die Menschen aus der Geschichte lernen und
sich auch der Bedeutung des Judentums für die europäische
Kultur bewußt werden.
Dokumente der
Zerstörung Reuther
war noch während seines Studiums 1989 beauftragt worden,
den 1563 angelegten Friedhof Rödelsee zu fotografieren.
Die Inventarisierung der rund 2500 Grabsteine wird erst in diesem
Jahr beendet werden. Als sich im Frühjahr 1990 die
Nachrichten über Schändungen jüdischer
Begräbnisstätten häuften, sei die Idee zu der
Ausstellung entstanden, sagt Reuther. Fotografien geschändeter
jüdischer Friedhöfe und Gedenkstätten finden
sich ebenfalls in der Ausstellung.
Die Biografien handeln
von dem normalen Leben in einer idyllischen Weinbauregion sowie
von Tod und Emigration. In der Gegend um Kitzingen hatten
sich Juden seit dem Ende des 11. Jahrhunderts niedergelassen.
Aus diesem eher ländlichen Milieu stammten auch die Familien
von Erich Fromm und Henry Kissinger. Viele Juden waren im
Weinhandel tätig. So auch der Weinhändler Max Fromm, der
den Bocksbeutel als Markenzeichen für fränkischen
Wein eingeführt und die dazugehörigen Etiketten vom
Direktor des Städtischen Kunstinstituts in Frankfurt hatte
entwerfen lassen.
FAZ 10.11.1998, Seite 59
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