Würzburg, 30.08.2017
Lehrkräftemangel in
Unterfranken: Notnägel und Flickschusterei
Bildungsgewerkschaft GEW fordert bessere Einstellungs- und
Arbeitsbedingungen
Eine Grundschullehrerin in
Unterfranken berichtet, sie habe mit unbezahlten Überstunden fehlende
Kolleginnen ersetzt, ein Schulrat klagt, Lehramtsanwärter wanderten
wegen besserer Bezahlung in angrenzende Bundesländer ab, ein befristet
eingestellter Lehrer sieht keine Perspektive im Lehrberuf, ein
Schulabteilungsmitglied der Regierung von Unterfranken sieht den
Lehrkräftemarkt für Grund-, Mittel- Förder- und Berufsschulen
leergefegt. Das ging aus einer aktuellen Befragung von Lehrkräften in
Unterfranken durch die unterfränkische GEW hervor.
"Fehler der Regierung
müssen Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler und ihre Eltern
ausbaden", meint dazu Martin Heilig, der Bezirksvorsitzende der
Bildungsgewerkschaft GEW in Unterfranken. Gleichzeitig sind drei
Petitionen der GEW von der Landtagsmehrheit abgeschmettert worden .
Es fehlen zum
Schuljahresbeginn in Unterfranken noch gut 50 Lehrkräfte um nur den
Pflichtunterricht an Grund- und Mittelschulen abzudecken, ganz zu
schweigen von Schulsozialarbeitern. Die Folge: Streichung von Fächern
wie Musik, Kunst oder Sport an weiterführenden Schulen, Einstellung von
arbeitslosen Lehrkräften aus anderen Schularten, Unterricht durch
völlig überforderte Studierende und zusätzliche unbezahlte Arbeit
durch das restliche Kollegium.
"Ich soll die schulart- und fachfremd eingesetzte Kollegin
einarbeiten, bereite also neben meinem Unterricht noch ihren vor",
weiß eine Lehrerin aus dem Landkreis Main-Spessart zu berichten. Eine
andere verschleppt ihre Krankheit, um die Kolleginnen und Kollegen nicht
noch mehr zu belasten, bekommt, als sie dann doch zusammenklappt, sogar
noch Korrekturen nach Hause geliefert.
"Wie soll da guter
Unterricht sichergestellt werden?" fragt der Personalrat Heilig. Er
sieht sogar den guten Willen aller Beteiligten, sieht aber keine
Besserung im Schuljahr 2017/2018: "Die Schulbehörden
flickschustern die von Pensionierungen gerissenen Lücken, klopfen
Notnägel ein und verwalten den Mangel."
Das nächste Schuljahr und
die drauffolgenden werden uns alle vor schier unlösbare
Herausforderungen stellen: Die Schülerzahlen steigen , die der
Lehrkräfte sinkt. "Die Schulartrochade zwischen zu vielen
Gymnasial- und Realschullehrkräften, die unausgebildet den zu wenigen
Förderschul-, Mittel- und Grundschullehrkräften zur Seite gestellt
werden oder ganz auf der Straße stehen, muss aufhören", fordert
der Marktheidenfelder Fachoberschullehrer. Die Ausbildung der
Lehrkräfte müsse künftig gemeinsam erfolgen, damit Absolventinnen und
Absolventen flexibler einsetzbar sind.
Die GEW Unterfranken
unterstützt die Forderungen des Örtlichen Personalrats Freising, die
kurz- mittel- und langfristige Maßnahmen vorschlagen (siehe Anlage).
"Bessere Einstellungs- und Arbeitsbedingungen haben bessere Bildung
zur Folge", so Martin Heilig.
Mit freundlichen Grüßen,
Jörg Nellen, stellvertetender Vorsitzender und Pressesprecher
GEW-Bezirk Unterfranken
Anlage
Gemeinsame Erklärung von
BLLV - GEW - KEG - BBB - DGB und ÖPR Freising
Grundlage unserer
gemeinsamen Position sind die beiden Anträge der Personalversammlung
vom 8. Dezember 2016.
Zu Antrag 1 zu dem Thema:
"Zunehmende Diskrepanz zwischen vorhandenen personellen
Lehrerressourcen und ständig steigende Anforderungen sowie erschwerte
Bedingungen im Berufsfeld des Lehramtes an Grund- und
Mittelschulen"
Die Interessensvertretungen der Lehrkräfte BLLV, GEW und KEG sowie die
Stufenvertretungen der Personalvertretungen ÖPR (Örtlicher
Personalrat), BPR (Bezirkspersonalrat bei der Regierung von Oberbayern)
und HPR (Hauptpersonalrat beim Ministerium für Unterricht und Kultus)
sind beauftragt, sich "mit allen zur Verfügung stehenden
Möglichkeiten und Mitteln nicht nur gegen eine weitere
Verschlechterung, sondern für eine Verbesserung der derzeitigen
Situation der Lehrkräfte an den Grund- und Mittelschulen einzusetzen.
Erschwerte und zum Teil unzumutbare Arbeitsbedingungen gehen zu Lasten
der Gesundheit und letztlich auch zu Lasten unserer SchülerInnen. Nur
gesunde und zufriedene LehrerInnen können den beruflichen Anforderungen
gerecht werden". (Antrag der Personalversammlung vom 8.12.2017)
Begründung dieses Antrages:
"Erschwerte Arbeitsbedingungen für Lehrerinnen und Lehrer und
ständig zunehmende Belastungsfaktoren für die Schulen allgemein sind:
-
bewiesenermaßen
zunehmende Lern-, Konzentrations- und Verhaltensauffälligkeiten der
Schüler/innen
-
steigende Zahl von
Schüler/innen mit besonderen Bedürfnissen und damit verbundene
zusätzliche Aufgaben im Zuge der Inklusion und Integration
-
ein wesentlich erhöhter
Arbeits- und Fortbildungsaufwand auf Grund von deutlich mehr
Absprachen mit externen Stellen (MSD, Beratungsstellen, Jugendamt,
Familienhilfen, Schulbegleiter, Förderschulen,
Berufseinstiegsbegleiter, …)
-
die Nichtanrechnung
dieses erhöhten Arbeits-, Zeit- und Fortbildungsaufwandes in der
Unterrichtsverpflichtung, im Stundendeputat sowie bei der Bezahlung
der Lehrkräfte und Schulleitungen
-
zunehmender
Leistungsdruck auf Schüler/innen und Lehrkräfte durch das
derzeitige Übertrittverfahren nach der 4. Jahrgangsstufe
-
verändertes
Elternverhalten hinsichtlich überhöhter und unangemessener
Erwartungen der Eltern an die Schule sowie die steigende
Bereitschaft vieler Eltern, eigene Interessen auf juristischem Weg
gegenüber Lehrkräften durchzusetzen
-
hohe
Unterrichtsverpflichtung in der Grund- und Mittelschule für
Lehrkräfte und Schulleitungen sowie zu geringe Verwaltungszeiten
für Schulleiterinnen und Schulleiter
-
zu knappe Bemessung von
Arbeitszeiten von Verwaltungsangestellten an den Schulen bei einer
ständig zunehmenden Aufgabenfülle
-
steigender, nicht
bezahlter und im Stundendeputat nicht berücksichtigter, aber für
einen zeitgemäßen Unterricht zwingend erforderlicher Zeitbedarf
für Teamsitzungen, Arbeitsgespräche, Jahrgangsstufen- und
Fachlehrerkonferenzen im Sinne einer verzahnten Bildungs- und
Erziehungsarbeit
-
Rückläufigkeit der
Stundenversorgung im Bereich des "Besonderen Unterrichts"
(Förderunterricht, AGs, …)
-
phasenweise unzumutbare
Vertretungsbelastung wegen fehlender mobiler Reserven
-
Die unzureichende
Lehrerversorgung wird durch kurzfristige und oberflächliche
"Mangelverwaltung" auf dem Rücken unserer Lehrkräfte
ausgetragen, denn viele
Problemlösungen im
schulischen Alltag werden zum Großteil durch ein hohes pädagogisches
Berufsethos der Lehrkräfte erzielt. Oftmals bleibt das Gefühl, dass
eine umfassende Unterstützung des Dienstherrn im Sinne einer
Fürsorgepflicht für die Mitarbeiter/innen fehlt".
Gemeinsame Überlegungen von
BLLV - GEW - KEG - BBB - DGB und ÖPR Freising
Auf Grund des derzeit herrschenden eklatanten Lehrermangels im Grund-
und Mittelschulbereich fordern wir die Gewinnung von Personalressourcen
durch im Folgenden aufgezeigte Maßnahmen. Wir unterscheiden in
kurzfristige, mittelfristige und langfristige Maßnahmen.
Ferner wollen wir den erschwerten Arbeitsbedingungen (s.o. in der
Begründung des Antrages an die Personalversammlung) begegnen.
Kurzfristige Maßnahmen:
Ziel/Zweck:
- Besetzung offener
Planstellen
- Bedarfsorientierte Aufstockung der Mobilen Reserve für eine geregelte
Unterrichtsversorgung
-
Befristete Aussetzung
der externen Evaluation für die nächsten Jahre als
ressourcenschonende und belastungsmindernde Sofortmaßnahme.
Begründung: "Mittlerweile wurden alle Schulen mindestens
zweimal im Fünf-Jahres-Rhythmus extern evaluiert. Der Schwerpunkt
sollte nach unserer Ansicht auf die interne Evaluation gelegt
werden" (s. "Gemeinsame Erklärung: Erfolgreiches
Schulmanagement" von BLLV, bsv und KEG vom 29.03.2017). Die
Externe Evaluation "als wichtige Maßnahme zur
Qualitätssicherung und -entwicklung" (s. http://www.isb.bayern.de/schulartuebergreifendes/qualitaetssicherung-schulentwicklung/evaluation/externe_evaluation/)
ist ein Paradoxon, wenn zeitgleich Studenten (ab 2. Semester)
eigenverantwortlich unterrichten.
-
Befristete Aussetzung
der "Lotsentätigkeit" für die nächsten Jahre. Die
Anrechnungsstunden für die sog. "Übergangslotsen", d.h.
für Grund- und Mittelschullehrkräfte, die an der Realschule und am
Gymnasium eingesetzt sind, sollten umgewidmet werden.
Begründung: In Bayern wurden im Schuljahr 2014/2015 861
Anrechnungs-stunden hierfür verwendet (vgl. Landtagsdrucksache
17/10637). Das entspricht mehr als 30 Vollzeitlehrkräften an Grund-
oder Mittelschulen. Stattdessen könnten arbeitslose Lehrkräfte der
jeweiligen Schulart zum Einsatz kommen.
-
Befristete Aussetzung
der Besetzung der sog. "Vorkurse" (Deutsch) mit
Grundschullehrkräften.
Begründung: Klasse hat Vorrang vor Gruppe.
Dieser wichtige Unterricht soll nicht entfallen, sondern durch
externes qualifiziertes pädagogisches Personal ( VHS-Personal,
Lehrkräfte von Sprachschulen, StudentenInnen mit DaZ , (Deutsch als
Zweitsprache) und sich zur Verfügung stellende pensionierte
Lehrkräfte durchgeführt werden.
-
Herabsetzung der
bürokratischen Hürden hinsichtlich der Einstellung von
Drittmittelkräften für ausländische Kinder sowie Schaffung
finanzieller Anreize für Drittmittelkräfte.
Mittelfristige Maßnahmen:
Ziel/Zweck:
- Steigerung der Berufszufriedenheit
- Steigerung der Attraktivität des Berufsbildes Grund- und
Mittelschullehrkraft
-
Das Studium für das
Lehramt an Grund- und Mittelschulen für Frauen und Männer durch
ein den anderen Schularten gleichgestelltes Einstiegsgehalt in A 13
attraktiv machen und damit die Arbeit der Grund- und
Mittelschullehrkräfte wertschätzen.
-
Den Anreiz für eine
Zweitqualifikation von arbeitslosen GymnasiallehrerInnen und
RealschullehrerInnen für den MS/GS Bereich durch ein angemessenes
Gehalt zu schaffen (setzt gleiche Bezahlung von Lehrkräften aller
Schularten voraus, um diesen Personenkreis evtl. dauerhaft für die
Grund- oder Mittelschule zu gewinnen.
-
Den Übertrittsdruck in
den vierten Jahrgangsstufen herausnehmen, da dieser eine erhebliche
und unnötige Belastung für alle Beteiligten darstellt.
-
Die Benachteiligung bei
Anrechnungsstunden gegenüber den anderen Schularten herausnehmen
und eine entsprechende Angleichung an die anderen Schularten
vornehmen. Der Anteil der Anrechnungsstunden am Lehrerstundenbudget
liegt im GS/MS-Bereich mit 6,3% deutlich unter dem der Realschulen
mit 8,3% und dem der Gymnasien mit 7,8 Prozent (vgl.
Landtagsdrucksache 17/10637).
-
Mehr Leitungszeit und
weniger Unterrichtsverpflichtung für Schulleitungen schaffen. Auch
hier muss eine Anpassung an die Realschule und das Gymnasium
erfolgen.
-
Es muss eine bessere
Ausstattung mit Verwaltungsangestellten an den Grund- und
Mittelschulen vorgenommen werden. Hier sollte man sich an dem
tatsächlichen Bedarf orientieren.
-
Der Ausbau der
zusätzlichen Lehrerstundenzuweisung pro Woche für die gebundenen
Ganztagsklassen sind von 12 Lehrerstunden wieder auf 19
Lehrerstunden- wie zu Beginn der Einführung - herauf zu setzen.
-
Die
Lehrerbedarfsprognosen haben sich stärker an der Realität zu
orientieren. Dabei ist für auch für Förderung, Inklusion und
Integration Lehrerpersonalbedarf zu berücksichtigen.
-
Zusätzlich ist die
Mobile Reserve bedarfsgerecht zu erhöhen, damit Stundenausfälle
infolge von Erkrankungen der Lehrkräfte, Fortbildungen,
Klassenfahrten etc. vermieden werden können. Hierbei sind die
Erfahrungswerte der vergangen Jahre einzubeziehen.
Langfristige Maßnahmen:
Ziel/Zweck:
- Steigerung der Berufszufriedenheit
- Steigerung der Attraktivität des Berufsbildes Grund- und
Mittelschullehrkraft
-
Reduzierung des
Stundendeputats der Grund- und MittelschullehrerInnen (für
Klassenleitung, zusätzliche Elternsprechstunden, Zusammenarbeit mit
Elternhaus, KESCH, Schulentwicklung, Teamsitzungen, Austausch mit
MSD/Therapeuten etc.).
-
Einsatz von
ausschließlich pädagogisch ausgebildetem Personal in Klassen mit
erhöhter Zahl an inklusiv zu beschulenden Kindern anstelle des
fachfremden Einsatzes von Personal.
-
Schaffung von
finanziellen Anreizen für Grund- und MittelschullehrerInnen bsw. im
Ballungsraum München / Speckgürtel um München in Form von
günstigen Dienstwohnungen etc..
-
Belastungen wie im
Antrag der PVS reduzieren, damit LehrerInnen möglichst lange gesund
und zufrieden ihren Beruf ausüben können und nicht
krankheitsbedingt vorzeitig in den Ruhestand gehen müssen.
Kerstin Rehm Stand:
22.06.17, 10.54 Uhr
Personalratsvorsitzende Örtlicher Personalrat Freising
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