Schutz für Lese- und Rechtschreibschwache gefährdet
GEW: Folgen für Lehrkräfte, Eltern, Betroffene gravierend

"Kein Mensch darf laut Grundgesetz wegen seiner Behinderung benachteiligt werden," betonte der Rechtsanwalt Dr. Johannes Mierau auf einer Diskussionsveranstaltung der Bildungsgewerkschaft GEW zum Thema Legasthenie und Dyskalkulie. Doch für Schülerinnen und Schüler mit einer Lese-Rechtschreibstörung gelte das nicht in allen Fällen. "Eine Behinderung wie Legasthenie konnte bisher nur von einem Facharzt begutachtet werden," so Dr. Mierau. Künftig solle eine schulpsychologische Stellungnahme und die Entscheidung der Schulleitung reichen. "Die sagen selber, dass sie dafür nicht ausreichend qualifiziert sind". Die Folge sei Willkür und Verunsicherung.

Die Vorsitzende des Bundesverbands Legasthenie, Christine Szygiel, warnte vor den psychologischen Folgen einer nicht erkannten oder anerkannten oder gar aufgrund der neuen Regelung aberkannten Legasthenie: "Legasthenie gibt es! Die Betroffenen ohne Schutz leiden an Prüfungsangst, Schulvermeidung, Depressionen bis hin zum Selbstmordgedanken." Betroffene erreichen durch Notenschutz und Nachteilsausgleich dieselben Ziele, wie durchschnittlich begabte Kinder. Einem Brillenträger werde ja auch nicht vorgeworfen, er verschaffe sich mit der Brille einen Vorteil, sondern könne ebenso gut sehen wie alle anderen.

Der Mittelschul- und Gymnasiallehrer Jörg Nellen berichtete aus den Schulen: Viele engagierte Lehrkräfte kämpften um die ihnen anvertrauten Kinder mit Lese-Rechtschreibstörung. Doch Unkenntnis, Unsicherheit und daraus folgendes Unbehagen belaste viele Kolleginnen und Kollegen. Eine Handreichung zur Unsetzung der neuen Verordnung sei in Aussicht gestellt, aber werde verschleppt. Der Bildungsgewerkschafter sieht die Schulaufsicht und Kultusministerium in der Verantwortung: "Geben Sie meinen Kolleginnen und Kollegen Handlungssicherheit!"

Betroffene mit Rechenstörung (Dyskalkulie) werden von der Staatsregierung immer noch nicht wie jene mit Lese-Rechtschreibstörung behandelt. Gegen diese eklatante Benachteiligung sonst durchschnittlich begabter junger Menschen helfen nur demokratische Aktionen: "Schreiben Sie Petitionen an den Landtag, sprechen Sie mit Ihren Landtagsabgeordneten!" forderten die Anwesenden. Der Schutz unserer Kinder muss es uns wert sein.

Information:
www.bvl-legasthenie.de

Hintergrund:
Nachteilsausgleich
o Betrifft: Leistungserhebungen
o Maßnahmen müssen die Gleichwertigkeit der Leistungserbringung wahren, verändert Prüfungsanforderung nicht
o Antrag ist erforderlich
o Schulleitung entscheidet über Gewährung
o "… Ein Rechtsanspruch auf die Gewährung einer bestimmten Maßnahme - bei zur Verfügung stehenden mehreren gleichwertigen Alternativen - lässt sich aus der Vorschrift daher nicht ableiten; vielmehr handelt es sich um eine pädagogische Entscheidung, die die personellen, räumlichen und sachlichen Verhältnisse zugrunde legen muss." (Begründung zur BaySchO, S. 32)
à Keine Zeugnisbemerkung!

Nachteilsausgleich durch
o Arbeitszeitverlängerung bis 25 % (in Ausnahmefällen bis 50 %, Lehrkraft entscheidet im Einzelfall
o Vorlesen einzelner Aufgabenstellungen (nicht des zu erschließenden Textes, wenn die Texterschließung Kern der Leistung ist)
o Zulassung spezieller Arbeitsmittel z.B.: Laptop (evtl. eigener Antrag notwendig), Vergrößerungsvorrichtungen
o Strukturierungshilfen in der Angabe der Aufgabenstellung:
- Schriftgröße (12 pt)
- ausreichender Zeilenabstand (1,5-fach)
- gut lesbare Schriftart (Arial, Calibri, Comic Sans)

Notenschutz
o verändert die Prüfungsanforderung
o Teilleistung, die aufgrund der Beeinträchtigung nicht erbracht werden kann, wird nicht bewertet
o Antrag ist erforderlich
o Schulleitung entscheidet über Gewährung
à Zeugnisbemerkung notwendig!

Mit freundlichen Grüßen,
Jörg Nellen, stellvertetender Vorsitzender und Pressesprecher GEW-Bezirk Unterfranken