Nicaragua-Delegation der GEW 17. bis 26. Juli
2000
Bericht Albrecht Sylla, GEW Bayern
Delegationsteilnehmer/innen:
Dr. Eva-Maria Stange, GEW-Vorsitzende, Christel Faber (HV), Anna
Ammon (Hamburg), Dr. Christoph Heise (HV), Rainer Dahlem
(Baden-Württemberg), Rüdiger Schütz (Thüringen), Albrecht Sylla
(Bayern)
Besuche und Gespräche bei nicaraguanischen
Gewerkschaften
CGTEN-ANDEN, Managua (Hauptvorstand)
Gesprächspartner/innen: José-Antonio Zepeda (Vorsitzender), Manuel
Rivas Tijerino (Finanzsekretär), Brigida (Estelí), Antonia
(Granada), Benito (Nueva Segovia), Rosa-María Hernandez (León)
Das Haus der CGTEN-Anden in Managua ist von
der Straße her frisch gestrichen, das ANDEN-Logo von weitem
sichtbar. In der Zentrale arbeiten 5 Beschäftigte, zwei sind als
Lehrer freigestellt, der Staat zahlt ihr Gehalt weiter. Das ist neu.
Die zwei "weißen" Gewerkschaften haben dieses Privileg
schon länger. Diese regierungsnahen Gewerkschaften werden vom
Ministerium mit allen denkbaren Mitteln unterstützt:
Freistellungen, Büroausstattung, Handys, Flugreisen, Autos. Alles
soll dazu dienen, ANDEN das Wasser abzugraben. Dennoch nimmt ANDEN
an Mitgliedern zu, die "weißen" Gewerkschaften verlieren
Mitglieder. ANDEN ist in 120 von 140 Gemeinden präsent. Die anderen
Gewerkschaften treten fast ausschließlich in Managua in
Erscheinung.
Bildungspolitik:
Die Bildungsreform des Staates hat die Dezentralisierung und
Entstaatlichung zum Ziel. Finanzlasten werden auf Kommunen und
Eltern abgewälzt. Mit dem "Gesetz der Beteiligung",
"La ley de la participación" wird nicht die demokratische
Beteiligung der Betroffenen gesucht, sondern die Eltern werden über
das Schulgeld in die Pflicht genommen. Die Lehrer/innen müssen das
Schulgeld eintreiben, wodurch sich das Verhältnis Lehrer/Eltern
verschlechtert hat. Die Höhe des Schulgeldes wird von den einzelnen
Schulen festgesetzt und liegt zwischen 2.- und 4.- DM pro Kind und
Monat. Für Examen, Kopien, Ausflüge etc. wird noch einmal Geld
erhoben. ANDEN sieht in o.g. Gesetz einen Schritt zur Privatisierung
des Schulwesens. In dieselbe Richtung geht auch die von der
Regierung propagierte Autonomie der Schulen. Deren Ausgestaltung
wird unten am Beispiel des INO in León dargestellt. Die Regierung
wünscht, dass sich Schulen zusätzliche, neue Geldquellen
erschließen.
ANDEN führt die Auseinandersetzung mit dem Ministerium öffentlich,
via Medien, nicht in direktem Gespräch. Die Gewerkschaft hat einen
eigenen Gesetzentwurf eingereicht, der eine Beteiligung aller
Betroffenen und an Bildungsfragen Interessieren beabsichtigt. Alle
gesellschaftliche Sektoren müssen in Sachen Bildung an einen Tisch!
Lehrergehälter: Seit 99 gibt es heftige Auseinandersetzungen um
Gehaltserhöhungen. Gegenwärtig liegen die Gehälter für die
Grundschullehrkräfte bei umgerechnet durchschnittlich 55 US $
monatlich und für die Sekundarschullehrkräfte bei 60 US $. Sie
decken nur etwa 60% des amtlicherseits errechneten Wahrenkorbes.
Insgesamt gliedern sich die dem Arbeitsministerium von ANDEN
vorgelegten Forderungen zu Fragen des Gehaltes und des Arbeitsrechts
in 14 Abschnitte. ANDEN fordert jetzt u.a.:
eine stufenweise Gehaltserhöhung von 200%, ein Basisgehalt von 80
bis 140 US $, ein neues Eingruppierungssystem, einen Preisnachlass
von 50% bei Wasser und Strom, Mutterschaftsgeld, Wiedereröffnung
von Läden für Lehrkräfte. Die hohe Lohnforderung wird auch damit
begründet, dass der Erziehungsminister 70 mal mehr verdient als
eine/r seiner Lehrer/innen.
ANDEN in
Masaya hat immer noch das Haus des Lehrers neben dem Rathaus,
wobei es sichtlich schwerfällt, das Gebäude zu erhalten. Viele
Schäden am Bauwerk oder die mittlerweile zerfallene Theaterbühne
im Hof können mangels Finanzmittel nicht gerichtet werden. Aus
Gewerkschaftskreisen wurde eine Sterbekassenkooperative gegründet.
In einem Raum des Gewerkschaftshauses sahen wir ein Sarglager. Im
Sterbefall von Kooperativenmitgliedern und deren Angehörigen, ist
über die Versicherung für die Bestattung gesorgt. Auch
Nichtmitgliedern wird diese Dienstleistung angeboten, wodurch die
Kooperative Einnahmen hat, die auch der Gewerkschaft nutzen. ANDEN
Masaya gibt Gewerkschaftsmitgliedern, deren Häuser vom Erdbeben
zerstört oder in Mitleidenschaft gezogen sind Unterstützung. Im
Gewerkschaftshaus sind Zement und andere Baumaterialien eingelagert.
Die Mittel für diese Hilfe kommen aus dem Ausland, auch von der
GEW. Bei unserem Besuch konnten wir 1.250 US $ (GEW Bund und GEW
Unterfranken) übergeben.
ANDEN in
Juigalpa: Die Gewerkschaft in Juigalpa ist in wesentlich
schwächerer Verfassung als vor Jahren. Nur noch drei Kolleginnen
sind im Vorstand aktiv. Vorsitzende ist Yolanda Calero Montiel.
Margarita Aguilar García, die lange Zeit als Vorsitzende fungierte,
ist jetzt für die Finanzen und das Kindertagesstättenprojekt
zuständig. Sie steht für die Kommunalwahlen im November an erster
Stelle der FSLN-Liste. Der Wahlkampf wird sie stark in Anspruch
nehmen, die Gemeinderatsarbeit wird auf Kosten der Zeit gehen, die
sie für die Gewerkschaft einbringen kann, gehen.
Bürgermeisterkandidat der FSLN ist im Übrigen ein
Universitätsprofessor, ANDEN-Gründungsmitglied, mit sehr gutem
Rückhalt in der Bevölkerung. Eine Woche nach unserem Besuch
sollten bei ANDEN in Juigalpa Vorstandswahlen stattfinden. Die
Kandidaturen waren noch nicht geklärt. Über das Ergebnis liegt
noch keine Information vor. Das Haus der Gewerkschaft ist in gutem
Zustand, ebenso das Gebäude der Kindertagesstätte "Hermandad
Sindical ANDEN-GEW" und die große, offene Versammlungshalle
auf dem Gelände hinter dem Gewerkschaftshaus. Die mit unserer
Unterstützung getätigten Investitionen sind deutlich sichtbar.
Viele Schulen gerade im ländlichen Bereich müssen aufgrund
fehlender Anmeldungen von Kindern schließen. Es ist aber nicht so,
dass es weniger Kinder gibt, im Gegenteil, es gehen nur immer
weniger Kinder zur Schule. Auch im Bereich der Abendschulen für
Erwachsene (ab dem 12. Lebensjahr), in dem versäumte
Bildungsanteile nachgeholt werden können, nimmt der Schulbesuch
drastisch ab. Es lohnt sich nicht mehr, zur Schule zu gehen, denn ob
mit oder ohne Schulbildung steht man hinterher ohne Arbeit da.
ANDEN in León:
(Bernarda, Rosa und Pedro, Vorstandsmitglieder der Föderation)
Die Autonomie wird für alle Schulen von oben her durchgedrückt.
Das "Gesetz der Beteiligung" ist ein Gesetz für die
Schulautonomie. Folge ist auch eine Dezentralisierung der
Verwaltung, eine Art Schulforum verwaltet die Schulen.
Der Arbeitsplatz der Lehrer/innen ist an die Schülerzahl gekoppelt.
Bleiben zu viele Schüler weg, werden Lehrer entlassen. Manchmal
werden Noten verschenkt, um Schüler zu halten.
Wenn das Geld für die Lehrkräfte nicht rechtzeitig an die Schule
kommt, werden Aktivitäten gestartet (Lotterien, Verlosungen), um
etwas Geld hereinzubekommen, mit dem dann wenigstens die
Sozialversicherungen bezahlt werden können.
In der autonomen Schule müssen die Lehrer/innen sehr viel Zeit für
die Schulorganisation aufbringen, für Gewerkschaftsarbeit ist dann
kaum noch Energie vorhanden. Das ist wohl auch so beabsichtigt.
Am 28. Juni rief das Ministerium Eltern, Schüler und Lehrer zu
einer Demonstration für das "Gesetz der Beteiligung" nach
Managua. Eine Propagandashow mit gekauften Klatschern.
Am Tag danach demonstrierten 1000 Lehrer/innen gegen dieses Gesetz,
für eine Verbesserung der Bildungsfinanzierung und der
wirtschaftlichen Situation der Lehrkräfte. Diesen Demonstranten
wurde mit Entlassungen gedroht.
FNT (Frente Nacional de
los Trabajadores), Gewerkschaftsdachverband:
Sieben Einzelgewerkschaften haben sich zu diesem Gewerkschaftsbund
zusammengeschlossen: u.a. die Lehrergewerkschaft ANDEN, die
Gewerkschaft der Universitätslehrer, die Gewerkschaft der
Landarbeiter, die Gewerkschaft der Beschäftigten in den
öffentlichen Verwaltungen, die Gewerkschaft der Beschäftigten im
Gesundheitswesen. Insgesamt gibt es in Nicaragua 13 Gewerkschaften,
die 6 nicht der FNT angeschlossenen Gewerkschaften sind sog. weiße
oder gelbe Gewerkschaften, die regierungsabhängig sind.
Die FNT nannte sich bis vor kurzem sandinistischer
Gewerkschaftsbund. Diese Orientierung auf die sandinistische Partei
wurde wegen des umstrittenen Paktes zuwischen den Sandinisten (FSLN)
und der regierenden Liberalkonstitutionelle Partei (PLC) des
Präsidenten Alemán aufgegeben.
Am 19. Juli (Nationalfeiertag) nachmittags Besprechung im Hause des
FNT-Vorsitzenden, einer ehemaligen Somoza-Villa in den grünen
Hügeln vor der Stadt; die Konrad Adenauer-Stiftung ist ganz in der
Nähe. Teilnehmer/innen: FNT-Vorsitzender Dr. Gustavo Porras,
FNT-Geschäftsführer José Angel Bermudez, Vorsitzender der
Landarbeitergewerkschaft Edgerdo García, Familienmitglieder. Das
Gespräch fand in einer familiären Feiertagsatmosphäre im Garten
statt. Der FNT-Vorsitzende ist Direktor der chirurgischen Abteilung
einer großen Klinik in Managua, er gehört dem FSLN-Vorstand an.
Auf weite Strecke herrscht in der FNT die Meinung vor, dass die
Führung der FSLN sich weit von der Parteibasis und der Bevölkerung
entfernt habe. Die Sandinistenspitze macht ihre politischen
Geschäfte lieber mit Personen aus der gehobenen Gesellschaft in
intimen Verhandlungen an eleganten Orten als in mühsamer
Rücksprache mit der Basis. Die Gewerkschaften sehen sich als
einzige kritische Gegenmacht zu einer derart abgehobenen Politik.
Nationale und insbesondere internationale Gewerkschaftsfragen waren
Gesprächsgegenstand. Der Wunsch nach engerem Kontakt zu den
internationalen Gewerkschaftsorganisationen, auch zu deutschen
Gewerkschaften insbeondere zum DGB wurde betont.
Gespräche mit dem
Vertreter der UNESCO
Das Büro der UNESCO liegt im Gebäudetrakt des
Erziehungsministeriums.
Dr. Juan Bautista Arríen war früher Rektor der renommierten
katholischen Universität UNCA in Managua (Jesuit). In dem
einstündigen Gespräch spricht er sehr präzise in brillanter
Sprache über die aktuelle Situation im Bildungssektor Nicaraguas
bzw. Mittelamerikas.
Dr. Arrién spricht ANDEN großes Lob aus: sie ist die unabhängige,
klare und einflussreiche Gewerkschaft. Die anderen Gewerkschaften
dienen sich der Regierung an und verlieren jeden Einfluss.
Er kritisiert aber auch die Gewerkschaft: ANDEN verliert zeitweise
den strategischen Fokus, baut zu oft Barrieren auf und sucht zu
wenig die Brücken, die verbinden.
In der Bildungspolitik stehen wir in Nicaragua gegenwärtig an einem
ganz wichtigen Punkt. Drei große Instrumente wurden von der Politik
für die Gestaltung der Bildung geschaffen:
1. der nationale Erziehungsplan (Plan nacional de la educación)
2. das Erziehungsgesetz (Ley de la educación)
3. das Gesetz der Beteiligung (Ley de la participación)
Der
nationale Erziehungsplan entstand nach den Verwüstungen durch
den Hurrikan Mitch, in einem Moment, in dem das Land in jeder
Hinsicht verletzlich war, sich aber auch die Möglichkeit anbot, es
unter vielerlei Aspekten neu zu gestalten. Der Erziehungsminister
Alvararo (?) hatte eine politische und persönliche Vision für
Veränderungen. Er lud sämtliche, an der Bildung interessierte
Sektoren zur Beteiligung ein. Er beabsichtigte die Beteiligung der
Lehrer am Prozess der Reform, auch was die Evaluation des Prozesses
angeht, die Beteiligung der Eltern, der Schüler, der Gemeinden, die
Beteiligung der gesamten Zivilgesellschaft.
Das Reformprogramm hatte 5 Schwerpunkte:
a) die Verbesserung der Erziehungsqualität, die Verbesserung der
Lehrpläne
b) die Sicherstellung von Bildung und Schulerfolg für alle in allen
Teilen des Landes
c) die Professionalität der Lehrer/innen, die Absicherung deren
Würde
d) das Handeln im Bildungswesen
e) Wissenschaft und Technologie
Der Minister scheiterte politisch, seine Visionen waren zu
progressiv, er wurde 1999 abgesetzt. War der alte Minister
Politiker, so ist der neue, Fernando Robleto (?) ein Wirtschaftler,
ein Technokrat. Die politischen Visionen sind nun abhanden gekommen.
Die Bildungspolitik, das Beteiligungsgesetz, das Bildungsgesetz sind
technokratisiert und vorrangig ökonomischem Kalkül unterworfen
worden. Der neue Minister ist ganz den Vorgaben der
"Geberorganisationen" Weltbank, IWF... ausgeliefert. Im
Erziehungsministerium herrscht Monotonie.
Eigentlich wären in Nicaragua für alle
Schüler/innen 11 Jahre Schulbesuch möglich: 3 Jahre Basisbildung,
2 Jahr Orientierungsstufe und 6 Jahr Sekundarstufe. Jedoch besucht
weniger als die Hälfte der Schulpflichtigen überhaupt die
Grundschule, weniger als 40% davon schließen die 4. Klasse ab, und
nur 35 % gehen bis zur 6. Klasse. Die durchschnittliche
Schulbesuchsdauer ist zwei Jahre! Ursache ist die elende Armut.
Offiziell leben 50%, inoffiziell 70% der Bevölkerung in Armut.
Außerdem ist die Schule in Nicaragua gegenwärtig nicht attraktiv.
Sie vermittelt zu wenig, was für das Leben, für eine Ausbildung,
ein Studium nutzt. In den Städten gehen die Schüler, welche die 4.
Klasse passiert haben, später auch auf die Sekundarschule. Nicht so
auf dem Lande. Dort gibt es praktisch keine Sekundarschulen. An der
Universität (UNAN)in Managua bestehen von 3.000, die zur
Aufnahmeprüfung antreten, nur 25! Das sagt viel über die
Schulqualität aus.
Über 1 Million Menschen in Nicaragua sind
Analphabeten. Nach der mittelamerikanischen Belli-Untersuchung
können mehr als 36% der über 10-jährigen weder lesen noch
schreiben. Die Regierung gibt eine 30%ige Analphabetenrate an.
Alphabetisierungsprogramme für Erwachsene gibt es in bescheidenem
Umfang, finanziert von Spanien und einigen internationalen
Organisationen.
Privatschulen: Hauptproblem
sind nicht die Privatschulen, sondern die grenzenlose
Vernachlässigung der öffentlichen Schulen. Mehr als 30% der
Sekundarschulen sind privat, 12% der Grundschulen und 50% der
Vorschulen. Lehrer verdienen an Privatschulen das Doppelte oder
Dreifache wie ihre Kollegen an den staatlichen schulen. Außerdem
sind die Privatschulen hervorragend ausgestattet.
1980 wurde in Nicaragua als erstem Land
Lateinamerikas ein Kulturministerium eingerichtet, heute ist
Nicaragua das einzige Land Lateinamerikas, das kein
Kulturministerium mehr hat. Das Erziehungsministerium (MED) ist
jetzt Erziehungs- und Kulturministerium (MECD).
Gespräch
mit dem Vertreter der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES)
Julio Villa Nueva: Wie befinden uns in der Vorwahlphase. Zum ersten
Mal werden im November Kommunalwahlen unabhängig von den
Nationalwahlen stattfinden. Hauptströmungen: PLC (Liberale),
Regierungspartei, FSLN (Sandinisten), daneben: Camino Christiano,
Partido Conservador, Movimiento Renovador Sandinista, die
Nationalistische Liberale Partei, Ex-Contra-Partei und einige lokale
Bewegungen. Letztere können an den Wahlen nicht teilnehmen, da sie
keine Parteien sind. Alle Parteien müssen, um zur Wahl zugelassen
zu werden, die Unterschriften von 3% der Wahlberechtigten bei der
letzten Wahl beibringen. Es gibt Manipulationen, um Kandidaten zu
verhindern, z.B. wurden kurzerhand die Stadtgrenzen Managuas neu
gezogen, um den Bürgermeisterkandidaten der PC auszubooten.
Die G5-Geberländer fordern für die Wahlen Transparenz, Freiheit
der Kandidatenaufstellung und Repräsentanz aller gesellschaftlicher
Gruppen.
Die Regierung Nicaraguas verhält sich auf dem
internationalen Parkett äußerst ungünstig. Sie hält
Informationen zurück und erfüllt Auflagen wie z.B. einen Plan zur
Armutsbekämpfung nicht. Das häufig unbeherrschte, ja unflätige
Auftreten des Präsidenten Alemán stößt national wie
international auf Entsetzen und Ablehnung. (In den letzten Tagen
unseres Aufenthaltes wurde Alemán von Abgeordneten und den Medien
aufgefordert, seinen Geisteszustand von einem Ärztegremium
begutachten zu lassen.)
Bei den Gewerkschaften ist die Kompetenz zur
politischen Diskussion in den Feldern Soziales, Arbeit, Bildung,
Transformation, die Auflagen der G5-Länder und des IWF unzureichend
vorhanden. Folglich ist die Möglichkeit zur Einflussnahme zu
gering. Die Gewerkschaftsbewegung durchlebte in 25 Jahren die
Wirtschaftsstruktur unter der Somoza-Diktatur, den totalen Umbruch,
eine Planwirtschaft, die gemischte Ökonomie, die Entstaatlichung
und die jetzige marktradikale Politik. Die Gewerkschaften waren kaum
in der Lage, auf die tiefen Wechsel rechtzeitig und kompetent
einzuwirken. Der Dachverband FNT kann seine Funktion als
Koordinationsgremium nur schwer erfüllen. Es gibt aber
Querschnittsthemen wie z.B. die Rentenreform, wo die Gewerkschaften
gefordert wären, sich massiv einzumischen.
Viele kompetente Gewerkschaftsfunktionäre haben ihre Aufgaben
niedergelegt, weil sie von der Gewerkschaftsarbeit nicht leben
konnten.
Die FES hat sich in letzter Zeit auf die Unterstützung der FSLN
konzentriert. Eine verstärkte Unterstützung der Gewerkschaften ist
dringend erforderlich und nach den Wahlen beabsichtigt.
Gespräch
mit dem stellvertretenden Erziehungsminister
Anwesend waren der stellv. Erziehungsminister, ein sehr alter Mann,
der schon unter Somoza im Ministerium war, zwei Referenten und zwei
Protokollantinnen; unsere Delegation, zwei schwedische Kolleginnen,
der BI-Vertreter für Lateinamerika aus Costa Rica und José-Antonio
Zepeda, ANDEN-Vorsitzender
Das Gespräch offenbarte eine erschreckende Inkompetenz, ja
Hilflosigkeit des Ministers und die vage Konzeption der
Bildungspolitik der Regierung. Einige Gesprächssplitter dieses
Treffens:
Der Minister (M) bedankt sich für die internationale
Unterstützung, auch für die Unterstützung der europäischen
Gewerkschaften und bittet diese fortzusetzen. Nicaragua befindet
sich in einer äußerst schwierigen wirtschaftlichen und sozialen
Lage, wovon auch der Bildungsbereich betroffen ist. Die
Bildungsreform des Landes kann nur mit Hilfe von außen gelingen.
Das Ministerium forciert die Ausbildung der Lehrer/innen für die
Grund- Sekundar- und Sonderschulen. Die nichtausgebildeten "empiricos"
erhalten Fortbildungen.
Gegenwärtig werden in Nic. täglich zwei neue Schulen gebaut.
José-Antonio (JA): Das sind alles alte Schulen, die sonst
einstürzen würden!
Eva Maria Stange (EMS): Beschreibt die
laufende Projekt-Unterstützung der GEW und die über die
Bildungsinternationale (BI) laufenden Maßnahmen. Betont wird die
Koppelung der beabsichtigten Entschuldung an die Verpflichtung zur
Investition der freiwerdenden Gelder in die Bildung. Sie fragt nach
der Erfüllung der für die Entschuldung notwendigen Kriterien und
den Programmen zur Bekämpfung des Analphabetismus (Verpflichtung
nach der Konferenz von Dakar).
M: Bis 1979 ging es dem Land sehr gut, das
Geld war stabil, wir konnten exportieren, die Gehälter der
Lehrer/innen waren hoch, die Bildung hatte Qualität. Nach 79 kam es
zu einem Niedergang, dessen Auswirkungen wir heute noch spüren.
Nicaragua ist das zweitärmste Land des Kontinents. Viele Kinder
gehen tatsächlich nicht zur Schule. Die jetzige Regierung tut viel,
um die Lage auch auf dem Bildungssektor zu verbessern. Wir wollen
die öffentliche, obligatorische und für die Eltern kostenfreie
Schule. Privatunternehmen unterstützen unsere Schulen. Ohne
Schuldenerlass jedoch kommen wir nicht voran. Die Regierung tut
alles, um den Schuldenerlass zu erreichen. Alemán hat versprochen,
bei Schuldenerlass die Gelder ins Erziehungs- und Gesundheitswesen
zu investieren und den Analphabetismus in den nächsten 10 bis
15Jahren zu beseitigen. Die Altlasten früherer Regierungen und die
Folgen von Naturkatastrophen halten uns am Boden.
EMS: Nach 1979 wurde die Analphabetismusrate
deutlich gesenkt, seit 1990 ist sie wieder stark gestiegen. Man kann
doch nicht alles am Jahr 1979 festmachen.
M: Die Zunahme des Analphabetismus kommt vor
allem durch das Bevölkerungswachstum.
Er ruft jetzt noch einen Berater (MB) dazu: Wir haben die
Analphabetenrate in städtischen Gebieten von 23% auf 19% gesenkt,
in ländlichen Gebieten von 46% auf 35% (1993-98).
José-Antonio: 2000 Lehrer/innen haben die
Schulen verlassen, weil sie von dieser Arbeit ihre Familien nicht
ernähren können. In Costa-Rica sind 45% der Hausangestellten
Lehrerinnen aus Nicaragua.
Der BI-Vertreter (aus Costa Rica) drückt mit
deutlichen Worten seine Besorgnis über die Negativentwicklung des
Bildungsbereichs aus; nicht nur in Nicaragua ist diese Tendenz zu
verzeichnen. Er fordert die Einbeziehung von ANDEN und aller
gesellschaftlich relevanten Kräfte in Entwicklung einer
tatsächlichen Reform des Bildungswesens.
EMS: Schuldenerlass kommt nur, wenn Nicaragua
zuverlässig die Verwendung der freiwerdenden Gelder für Bildung
und Gesundheit garantierten kann. Welche Garantien gibt die
Regierung?
MB: Die Abwanderung von Lehrern ist kein neues
Problem. Die Regierung arbeitet an einem Bildungsgesamtplan für die
nächsten 15 Jahre. Die Beteiligung aller ist beabsichtigt. Wir
wollen eine Dezentralisierung der Schulverwaltung und die Autonomie
der Schulen. Lokale Instanzen werden die Entscheidungsbefugnis
haben. Bezüglich des Schuldenerlasses weist er auf die o.g.
Versprechungen des Präsidenten hin.
EMS: Wir konnten die Umsetzung der Autonomie
selbst sehen und sie stellt sich für uns als ein Rückzug des
Staates aus der Verantwortung für die Schulen dar. Dies erfolgt zu
Lasten der Eltern (Schulgeld, Zeugnisgeld etc). Wir sehen hierin
eine schleichende Privatisierung.
MB: Jedes neue Projekt hat am Anfang mit
Schwierigkeiten zu kämpfen. Fehler wurden gemacht. Eine Revision
des Projektes der Schulautonomie steht an. Das Ministerium gibt sehr
wohl eine bestimmte Summe für den Unterhalt der Schulen aus, den
bezahlen beileibe nicht nur die Eltern. Kein Kind darf von der
Schule verwiesen werden, weil die Eltern nicht bezahlen können. In
Ausnahmefällen übernimmt bei Bedürftigen das Ministerium die
anfallenden Kosten.
Gespräch mit Dr.Vilma
Nuñez, Menschenrechtsorganisation CENID
Dr. Vilma Nuñez, CENID-Vorsitzende, Juristin, früher Mitglied der
FSLN-Regierung
Zum Bildungsbereich: Das Bildungswesen ist in einer katastrophalen
Verfassung, viele Kinder gehen überhaupt nicht zur Schule, viele
kommen unterernährt. Es fehlen Schulen und Lehrer/innen. Zur
Einweihung einer neuen Schule wird immer ein großer Medienrummel
veranstaltet. Das CENID besuchte nach einem solchen Rummel die
Schule: Es stand zwar ein Gebäude, es gab aber dort keine Lehrer.
Die Autonomie der Schulen wird deren Qualität sowie die Chancen und
Rechte der Kinderverschlechtern
Behinderte Kinder: Es existiert eine kleine Abteilung für
Sonderpädagogik im Ministerium, sonderpädagogisch qualifiziertes
Personal fehlt jedoch. Das Ministerium will die Integration
Behinderter an den Primarschulen. ANDEN fordert die Ausbildung von
Fachkräften und entsprechende Bedingungen an der Primaria.
Die Unterstützung behinderter Kinder geschieht weniger durch den
Staat als vielmehr durch Nichtregierungs- und Elternorganisationen.
Bekannt ist das Behindertenprojekt "Los Pepitos" oder die
"Organisación de Mujeres Descapacitadas". Es gibt einen
bedeutenden Prozentsatz von Behinderten, die durch Krieg und
Mangelernährung geschädigt wurden. Mehr als 300 Frauen sitzen nach
Rückenmarksanästhesie im Rollstuhl. Bezüglich der
Arbeitsintegration existiert schwerste Diskrimination. Zunehmend
organisieren sich Behinderte und fordern ihre Rechte ein.
Straßenkinder: Zwischen 600.000 und 1 Mio. Kinder leben auf der
Straße, ohne Zuhause.
Die Regierung führte über die Medien eine von UNICEF finanzierte
Kampagne gegen Kinderarbeit durch, ohne für die Kinder und die
Familien gleichzeitig konkrete Hilfsprogramme oder Alternativen
anzubieten. Gleichzeitig erlaubte das Arbeitsministerium die
Mitarbeit von Kindern bei der Kaffeeernte.
Die Politik der Regierung fordert unendlich viele Opfer unter
Kindern und Jugendlichen.
Der
Pakt zwischen PLC und FSLN: In Nicaragua hat das Wort Pakt einen
sehr schlechten Beigeschmack. Schon der Diktator Somoza arbeitete
mit Pakten. Voraussetzung für solche Pakte zwischen Regierungs- und
Oppositionsparteien waren immer a) eine korrupte Regierung in der
Krise und b) eine unfähige Opposition. Auf dem Weg eines Paktes mit
der Regierungspartei hat die Opposition noch nie in der Geschichte
Nicaraguas die Wahlen gewonnen.
Der Pakt Alemán/Ortega signalisiert eine tiefe Regierungskrise und
er hat Elemente, die schlimmer sind als bei früheren Pakten:
Früher waren die Parteien keine Parteien, sondern kleine Eliten.
Die FSLN war aber eine Partei des Volkes, eine Massenbewegung. Die
Leitung der FSLN hat sich vom Volk, von der Basis abgespalten und
betreibt eine Politik, mit der sie hofft, eine kleine Spitzengruppe
an die Macht zu bringen. Gleich nach den Wahlen 96 ging Daniel
Ortega ins Privathaus Alemáns, obwohl er am selben Tag öffentlich
den Wahlbetrug reklamiert hatte. Damals begann die Vorbereitung des
Paktes. Dabei geht es natürlich um die Aufteilung von Pfründen.
Beispiele:
Die wichtigsten Staatsfunktionen wurden zwischen beiden Parteien
aufgeteilt. Der oberste Rechnungshof wurde zerschlagen, da er gewagt
hatte, Alemán der Korruption zu bezichtigen. Der Leiter des
Rechnungshofes wurde kurzerhand abgesetzt und eingesperrt. PLC und
FSLN teilten sich die Funktionen im Rechnungshof auf.
Im obersten Wahlrat und in den lokalen Wahlräten wurden die Posten
handverlesen zwischen PLC und FSLN verteilt. Die Wahlorgane sind
daher eben nicht unabhängig.
Im November 2000 stehen Kommunalwahlen und im November 2001
nationale Wahlen an. Eigentlich sollten zu den Kommunalwahlen im
Herbst nur zwei Parteien zugelassen werden. Erst nach Protesten des
diplomatischen Korps, der Weltbank und des IWF werden wohl doch noch
andere Parteien kandidieren können.
Derzeit läuft die Einschreibung in die Wählerlisten. Dazu müssen
die Bürger ins Wahlbüro ihres Wohngebietes gehen, dort wird
nachgesehen, ob sie im Wählerverzeichnis stehen, erst dann erhalten
sie die Wahlberechtigung. Da insbesondere auf dem Lande viele
Menschen überhaupt nicht bei der Gemeinde gemeldet sind, tauchen
sie auch nirgendwo in einer Liste auf. Für die Eintragung im
Wahlbüro ist eine Frist von nur drei Tagen, sollten da irgendwelche
Korrekturen notwendig sein, wird es allein zeitlich sehr eng. Heute
morgen hatte Dr. Nuñez das für sie zuständige Wahlbüro
aufgesucht, um sich ins Wählerverzeichnis einzuschreiben. Sie stand
in keiner Liste. Jetzt hat sie zwei Tage Zeit, sich um die Klärung
der Angelegenheit zu kümmern. Sollte sie als kritische
Menschenrechtskämpferin an der Wahlteilnahme gehindert werden?
Wahlkreisgrenzen wurden kurzfristig geändert, um unliebsame
Kandidaturen unmöglich zu machen.
Für die anstehenden Wahlen bestehen größte Befürchtungen
hinsichtlich Transparenz, Chancengleichheit und Garantie des
Wahlrechts.
Der Pakt PLC/FSLN stellt für den Rechtsstaat einen großen
Rückschlag dar. Es gibt in Nicaragua keine Opposition mehr. Nur
noch die Gewerkschaften stellen eine Kraft dar, die unabhängig
handeln und die Interessen der Bevölkerung verteidigen kann. Die
Gewerkschaften sind die derzeit einzige Oppositionskraft im Land.
Dr. Nuñez bittet uns daher die GEW dringend,
die Gewerkschaft ANDEN weiterhin zu unterstützen.
Kindertagesstätte
"Hermandad Sindical ANDEN-GEW" in Juigalpa
Juigalpa liegt im Departement Chontales. Die Region lebt von der
Rinderzucht (Fleisch und Milchproduktion), etwas Reis- und
Maisanbau. Juigalpa hat 55.000 Einwohner.
Es existieren nur 3 Kindertagesstätten, eine im SOS-Kinderdorf,
eine von der Herbert-Gmeiner-Stiftung und die ANDEN-KITA. Eine KITA
kann in Nicaragua offensichtlich nur bestehen, wenn die Mittel
dafür aus dem Ausland kommen. Staat und Gemeinden finanzieren diese
Einrichtungen nicht. Unterstützung für die Verpflegung der Kinder
kommt auch aus einem internationalen Hilfsfond. Gegenwärtig werden
36 Kinder von 1 Monat bis zum 6. Lebensjahr betreut. Das CDI (Centro
Desarrollo Infantil) sind der Kindergarten für Kinder von 0 bis 4
Jahren und die Vorschule (5. und 6. Lebensjahr). Die Schule beginnt
dann im 6. Lebensjahr.
Zwischen ANDEN in Juigalpa und der
Gewerkschaftsföderation in Chontales gibt es immer wieder
Schwierigkeiten. Ein Problem stellen die Besitzverhältnisse der
Immobilie in Juigalpa dar. Der Grund und Boden und das auf ihm
stehende Gewerkschaftshaus gehören der Föderation. Zahlt ANDEN
Juigalpa Miete? Wie verhält es sich mit den neu errichteten
Gebäuden und Gebäudeteilen? Gehören diese ANDEN Juigalpa? Gibt es
diesbezüglich Verträge zwischen Juigalpa und Chontales? Fragen die
bei und nach unserem Besuch aufgetaucht sind und brieflich geklärt
werden müssen. Es wird gegenwärtig ein neuer Raum gebaut. In ihn
soll eine 1. Klasse Primaria kommen. D.h. doch wohl, ANDEN in
Juigalpa gründet eine Grundschule.
Nach dem Rückzug der bisherigen Leiterin des CDI, die gleichzeitig
hauptamtlich im Vorstand von ANDEN in Juigalpa war, ist diese Stelle
unbesetzt. Nach dem Arbeits- und Gewerkschaftsrecht darf die
Leiterin einer Bildungseinrichtung nicht gleichzeitig im Vorstand
einer Gewerkschaft sein. Gegenwärtig leitet der Gesamtvorstand von
ANDEN Juigalpa die KITA kommissarisch. Nach den Vorstandswahlen Ende
Juli wird eine neue Lösung gesucht. Mit unseren rund 10.000.- DM
jährlich wurden die Gehälter des gesamten KITA-Personals, also
auch der Leiterin finanziert. Derzeit läuft die Leitung
ehrenamtlich, bezahlt werden zwei Erzieherinnen und eine
Wirtschafterin, die auch das Mittagessen kocht. Was geschieht mit
dem nun freien Leiterinnengehalt?
Schulbesuche
Landschule "Nera La Ceiba" bei León: eine der
Partnerschulen Hamburgs, sie liegt 8 km außerhalb in der heißen
Ebene. Es sind keine eigentlichen Dörfer, die in dieser Ebene
liegen sondern weit verstreute Bauernhäuser (-hütten) und kleine
Ansiedlungen. Das bedeutet, alle, die zu dieser Schule kommen haben
einen weiten, beschwerlichen Weg. Die Straße von León dorthin ist
nicht geteert und führt mehrfach durch tief ausgewaschene, derzeit
fast trockene Flussbetten. Die Schule liegt auf freiem Feld unter
riesigen Bäumen. Der Bau wurde aus Hamburg finanziert, die
Einrichtung von der Weltbank. Die Schule erhebt von den Eltern keine
Beiträge. Auch diese Schule will das Erziehungsministerium (MED)
mit Druck und Versprechungen dazu bringen, autonom zu werden.
Bislang hat sie sich geweigert. Der Schulleiter ist ANDEN- und FSLN-
Mitglied. Bis zum nächsten Jahr will das MED alle Schulen in sog.
autonome Schulen transformiert haben. Was Autonomie bedeutet konnten
wir am Beispiel des Sekundarschule in León erfahren.
Sekundarschule
in León:
León ist die zweitgrößte Stadt Nicaraguas, Universitätsstadt mit
vielen altehrwürdigen Kolonialhäusern und Kirchen. Eine große
Zahl der Häuser ist bestens renoviert. Das Geld hierfür ist nicht
im Land erwirtschaftet, sondern kommt von Nicaraguanern, die im
Ausland leben oder lebten. Ein Teil der Miami-Nicas ist
zurückgekehrt. Hamburg ist Partnerstadt Leóns.
Die Schule, welche wir besuchen, heißt "Instituto Nacional del
Occidente", kurz INO. Das Zentrum besuchen 3.100
Schüler/innen. Die Schule führt zum Bachillerato (Abitur). Die
Eingangsstufe (7. Klasse) hat 10 Parallelklassen, in einer Klasse
sitzen rund 60 Schüler/innen. Schüler vom 11. bis zum 21.
Lebensjahr werden hier unterrichtet. Das heißt, es finden auch
Erwachsenenkurse statt. Es wird wie an den meisten Schulen in
Nicaragua in drei Schichten gearbeitet: vormittags, nachmittags und
abends. Die Schule ist schon seit 1993 autonom. Uns führt zunächst
der Verwaltungsdirektor der Schule, der "Schulmananger".
An der Schule unterrichten 60 Lehrkräfte. Die Gebäude, in den
60er-Jahren errichtet, sind weitgehend in desolatem Zustand. Die
gesamte Lichtanlage ist defekt. Wasser tropft durchs Dach, die
einstmals sicher vorbildlichen naturwissenschaftlichen Räume sind
kaum mehr zu benutzen. Das Gespräch wird mit der Direktorin in
deren kleinem Büro fortgesetzt.
Diese öffentliche Schule, die sich 1993 als eine der ersten im
Lande für die Autonomie entschieden hatte, beklagt heute deren
verheerenden Auswirkungen: Die Finanzmittel, welche das Zentrum
zugewiesen bekommt, reichen gerade mal aus, um den Lehrkräften die
Gehälter ausbezahlen zu können, und dies geschieht oftmals mit
Verzögerung. Mittel für Unterhalt, Instandhaltung und alle
sonstigen Ausgaben der Schule kommen ausschließlich aus dem von den
Eltern monatlich erhobenen "freiwilligen" Schulgeld von 10
Cordoba pro Schüler (ca.1,80 DM). Auch für Prüfungsarbeiten,
Zeugnisse u.ä. werden die Eltern zur Kasse gebeten. Kein Wunder,
dass viele Kinder der Schule fern bleiben, fehlt den Familien
häufig schon das Geld für die Ernährung, wie soll dann noch das
Schulgeld, und sei es auch noch so niedrig, bezahlt werden können.
Dieses Finanzierungssystem der Schulen zwingt sie auch, möglichst
viele Schüler/innen in eine Klasse zu pferchen. Je mehr
Schüler/innen in einer Klasse, um so ökonomischer.
Der Staat zieht sich aus der Verantwortung für die Schulen zurück.
Das INO in León ist heute entschiedener Kritiker der Autonomie von
Schulen.
Immer weniger junge Menschen lassen sich für
die Sekundarschulen ausbilden, da sich ihnen die Frage stellt, warum
so viel in eine Universitätsausbildung investieren, wenn man
hinterher vom Gehalt nicht leben kann. Die Mehrzahl der Lehrkräfte
in der Secundaria in Nicaragua sind sog. Empiricos, das sind
Lehrer/innen ohne Ausbildung (in der Primaria sind nur 1 % Empiricos).
Hausbauprojekt
für durch den Wirbelsturm Mitch Geschädigte in Tipitapa:
Auf einem großen Areal stehen neu errichtete Häuschen
unterschiedlicher Bauart, aus Stein, Holz, Blech und Pappe, fertige
und halbfertige Häuser. Alle wurden mit internationaler Hilfe
gebaut. Durch den Heinrich-Rodenstein-Fond der GEW wurden 21 Häuser
aus Stein für betroffene Lehrer/innen errichtet. Sie sind alle noch
nicht fertig, da die Finanzierung der Zinkblechdächer ungeklärt
ist. Es war hierfür staatliche Hilfe in Aussicht gestellt.
Wahrscheinlich muss aber auch dabei die GEW helfen. Ungefähr 600.-
DM pro Dach werden veranschlagt.
Sonstige
Informationen und Eindrücke
Nicaragua ist nach Haiti das zweitärmste Land
des amerikanischen Kontinents. Armut
und Elend sind alltäglich sichtbar.
In krassem Kontrast stehen demonstrativ dargestellter Reichtum und
Luxus einiger weniger im Land. Im Supermarkt "La Colonia"
in Managua, der internationalen Standart hat, gibt es frisch
gepressten, eisgekühlten Orangensaft in Kanistern jeder Größe,
spanischen Wein und schottischen Whisky, Getränke und Produkte aus
aller Herren Länder. Offenbar gibt es auch genügend Kundschaft
dafür.
In Managua sind riesige dreispurige Kreisverkehranlagen entstanden
mit großen Brunnen oder einer hohen Heiligenfigur in der Mitte. Um
den Platz herum stehen enorme, z.T. sich drehende und nachts
beleuchtete Reklametransparente für Cola, Banken, Automarken oder
Versicherungen. Mehrere Superluxushotels sind entstanden, u.a. ein
Holiday Inn, ein Palasthotel. Sie stehen meist in einem
eingezäunten und bewachten Areal, in dem sich auch Nachtbars,
Restaurants und Geschäfte befinden. Aus der Hauptstadt heraus
führt jetzt auf 1/3 der Strecke nach Masaya eine dreispurige
Autobahn, deren Mittelstreifen begrünt und beleuchtet ist. Die
neuen übergroßen Tankstellen der Weltmarken haben modernsten
Standart. Die Mineralölsteuer ist auch die Haupteinnahmequelle des
Staates. Der Verkehr hat in der Hauptstadt extrem zugenommen. Abends
zwischen 5 und 7 Uhr herrscht absoluter Verkehrsstau auf den
Magistralen Managuas. Es fahren im Westen Nicaraguas viele Busse,
meist ausgediente, gelbe US-Schulbusse. Selten sieht man noch LKW
und Kleinlaster (camionetas), mit Menschentrauben auf der
Ladefläche.
Präsident Arnoldo Aleman
hat sich neben dem Nationaltheater, direkt am Ufer des
Managuasees einen Präsidentenpalast errichten lassen, der in seinem
Luxus durchaus Präsidentenvillen in hochentwickelten Ländern in
den Schatten stellt
Geldtausch findet immer noch auf der Straße statt, z.B. auf dem
Parkplatz des o.g. Supermarktes. Der Geldwechsler mit
Namenskärtchen und Handy tauscht 1 US $ in 12,65 Cordobas. Auf den
Titelseiten der Tageszeitungen (La Prensa und El Nuevo Diario) sind
die Wechselkurse nach amtlichem, parallelem und schwarzem getrennt,
täglich angegeben.
Der Platz vor der Ruine der alten Kathedrale
ist jetzt als Park mit einem Brunnen angelegt, der alte
Nationalpalast ist renoviert und ein Kulturpalast geworden. Der Park
mir dem Carlos Fonseca-Mausoleum (einer der FSLN-Gründer) besteht
noch und ist gepflegt.
Der große Platz der Revolution wird gegenwärtig umgestaltet und
wird nicht mehr für die jährlichen Revolutionsfeierlichkeiten der
Sandinisten am 19. Juli zu nutzen sein. In seiner Mitte steht ein
großer Obelisk mit einem Kreuz auf der Spitze. Der Bürgermeister
Managuas ließ den Obelisken zum Preis von 10 Mio Cordoba, das sind
mehr als 1,5 Mio. DM, aufstellen. Der Platz, der dem Petersplatz in
Rom nachempfunden ist, trägt jetzt den Namen: "Platz des
Glaubens - Johannes Paul II."!
Parteien: Bis
auf die Sandinistische Partei (FSLN) können sich die anderen
Parteien, auch die regierende Liberalkonstitutionelle Partei (PLC)
von der Mitgliederzahl her nicht auf eine Massenbasis stützen.
Am 19. Juli nahmen wir in Managua an den Revolutionsfeierlichkeiten
der FSLN in dem Dreieck zwischen Theater Ruben Darío, Platz der
Revolution bzw. Johannes Paul II und Carlos Fonseca-Mausoleum teil.
Tausende und abertausende Menschen, Familien, viele Jugendliche.
Überall Musik und die rot-schwarzen Fahnen und Halstücher der
Sandinisten. Fast macht es den Eindruck als habe die Revolution eben
erst gesiegt. Auf der Bühne Grußreden der Vertreter/innen von
linken Parteien Lateinamerikas, besonderer Jubel bei der Ansprache
der Vertreterin Cubas. Daniel Ortega hält eine lange, sehr
kämpferische Rede mit starken, revolutionären Klängen. Auf weite
Strecke ist der Eindruck von Revolutionsfolklore, mit fast
religiösem Wallfahrtscharakter nicht zu unterdrücken. Wie sehr
steht dieses revolutionäre Gehabe der sandinistischen Führung doch
in Widerspruch zu ihrem politischen Handeln. Der zwischen FSLN und
der Alemán-Partei geschlossene Pakt, mit dem sich beide Parteien
erhoffen, nach den Kommunalwahlen im November 2000 und den
nationalen Wahlen im November 2001 die Macht im Land unter sich
aufteilen zu können, und viele Verflechtungen auch der FSLN in die
schrecklich korrupten Strukturen stehen mit ihrem undemokratischen
Charakter so sehr im Gegensatz zu den hier geführten Reden. Das
Land hat keine demokratische Tradition. Die kurze Zeit zwischen 1979
und 1990 reichte nicht, um demokratische Strukturen aufzubauen und
zu festigen. Es scheint bei allen Parteien nach mehr oder weniger
dem gleichen Muster zu laufen: zugreifen, wenn man die Möglichkeit
hat, nehmen, was sich nehmen lässt und an die Wand drängen, wer im
Weg steht.
Kinderarbeit:
Überall finden sich Kinder, die Kaugummis, Zigaretten, Zeitungen,
Getränke, Früchte u.a.m. verkaufen, oder die an den Ampeln die
Autoscheiben putzen wollen. Am Pazifikstrand in Pochomil werden die
Strandbesucher ständig von Kindern mit ihren Verkaufsangeboten
umlagert. Ein Mädchen, dünn und ungesund aussehend, das mit
kleineren Kindern Muschelketten am Strand verkauft, gibt sein Alter
mit 14 an und sagt, es habe schon selbst zwei Kinder.
67% der ökonomisch aktiven Bevölkerung
verdingt sich auf dem sog. grauen Arbeitsmarkt, dem informellen
Sektor, d.h. die Menschen haben mal hier einen Job für einen Tag,
versuchen an dieser Straßenecke etwas zu verkaufen, mal an einer
anderen, finden vielleicht mal eine Beschäftigung für mehrere
Tage. Keine festen Beschäftigungen und natürlich keine
Arbeitsverträge, keine Tarife, Sozialversicherungen oder
ähnliches.
Erdbeben
Eine Woche vor unserer Ankunft hat ein Erdeben die Dörfer in der
Region um die Laguna de Apoyo und Teile der Stadt Masaya zerstört.
Zum Glück hat es nur wenige Tote gegeben. Mehrere Kinder sind
umgekommen. Beim Versuch mit dem Kleinbus auf der unbefestigten
Straße zum Dorf Diriomitio in dieser Region zu kommen, dort
unterstützt die Initiativer aus Ebersberg bei München seit Jahren
Projekte, fallen die vielen weißen Fähnchen am Straßenrand auf.
Sie weisen auf zerstörte Häuser hin. Am Fuße des Vulkankegels der
Laguna de Apoyo haben die Don-Bosco-Schwestern ihre Schule für die
jetzt Obdachlosen als Zuflucht geöffnet. Die Menschen beklagen
sich, dass sie bislang keine Hilfe des Staates oder von anderer
Seite erhalten haben. Sogar die Plastikplanen oder Bleche, unter
denen sie jetzt hausen, mussten sie sich selbst besorgen. Nach
kurzer Strecke müssen wir die Fahrt abbrechen, Straße und Wege
sind unpassierbar. Das bedeutet viele Ansiedlungen und Dörfer sind
nach wie vor von der Außenwelt abgeschnitten. In Masaya, wo
insbesondere die ältesten, aus Lehmsteinen im 19. Jahrhundert
gebauten und z.T. unter Denkmalschutz stehenden Häuser zerstört
worden sind, haben staatliche Stellen mit einer Bestandsaufnahme der
Schäden begonnen. Die Feuerwehr (das Feuerwehrauto trägt deutsche
Aufschrift) ist dabei, baufällige Gebäude einzureißen. In den
Höfen und Gärten sind meist in Nachbarschaftshilfe unter Planen
Schlafstellen eingerichtet.
GEW-Nicaragua-Delegation 2000, Bericht
Albrecht Sylla, 09.09.00,
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